HACKESCHER MARKT : Das Handgemenge
Es passierte auf einem Konzert. Den Namen des Hauptacts kann ich nicht verraten, da mich mit dem Sänger eine nicht enden wollende Romanze verbindet. Den Namen der Vorband verschweige ich, denn mit deren Sänger verbindet mich seit jenem Abend Hass.
Es ist teuer hier, irgendwo am Hackeschen Markt: die beste Voraussetzung für einen miesen Abend. Da nur ich einen Gästelistenplatz habe, muss ich mit meiner Begleitung die Kosten für eine weitere Karte teilen. Nun fehlt das Geld. Wir legen zusammen. Drei Euro für ein kleines Bier verfehlen wir trotz ungezählter Münzen knapp. Mit zwei Händen reicht B. dem Barmann das Geld und der zählt lange, bevor er uns die Flasche reicht.
Weitere Getränke kaufen wir im Kiosk ums Eck. Breitbeinig und klirrend kommen wir zurück. Das Konzert hat längst begonnen, als der Sänger der Hauptband von der Theke vor mich hin springt. B. quiekt vor Freude und auch ich reiße die Arme hoch. Doch statt mich anzuschmachten, nimmt er mir schlicht die Brille ab. Dann verschwindet er aus meinem dezimierten Blickfeld. Schwankend mühe ich mich, am Platze zu bleiben. Ich bin blamiert. Später erhalte ich meine Brille mit den Worten „Das ist ja gar kein Fensterglas“ zurück.
Derweil bekommt B. backstage vom Sänger der Vorband Prügel angedroht. Die alten Popper schimpfen obszön, sie schubsen. Als B. ihnen den Mittelfinger zeigt, schlagen sie zu. B. hetzt die Treppe hinauf, während ich, meine Arme um die Hüfte des Verfolgers geschlungen, langsam über die Treppe hinterher poltere. Als meine Hand unter die Gürtellinie rutscht, lasse ich lieber los. Oben flitzt B. über die glitzernde Tanzfläche. Dann sein Verfolger. Dann ich. Als ich aus dem Club trete, schreien alle. Ein Handgemenge. Nur B. steht unbeachtet unter der S-Bahn-Brücke und präsentiert noch einmal seinen Mittelfinger. SONJA VOGEL