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Gysi voller Zuversicht: Mir reicht's noch immer nicht

■ Gysi bleibt PDS-Vorsitzender/ Millionenskandal für einen „Erneuerungsschub nutzen“/ Parteivorstand beschließt unabhängige Prüfung des Vermögens/ Staatsanwalt hat Indizien für weitere Schiebereien

Berlin (taz) — „Trotz alledem — da müssen wir durch, Gregor Gysi!“, rief gestern ein PDS-Mitglied auf dem Berliner Alexanderplatz. Der Wahlkampfauftakt der SED- Nachfolgepartei PDS geriet gestern zur Durchhalteveranstaltung für den Vorsitzenden und seine Partei. Trotz des millionenschweren Finanzskandals, trotz der Verhaftung des PDS-Schatzmeisters Wolfgang Pohl am Freitag und seines Mitarbeiters Wolfgang Langnitschke, ehemals stellvertretender Leiter für Finanzen beim ZK der SED will Gregor Gysi weitermachen — aus Verantwortung für die Partei und für die gesamte Linke, wie er auf einer PDS-Vorstandssitzung am Sonnabend verkündete.

In einem taz-Interview formulierte Gregor Gysi das Prinzip Hoffnung: Der Skandal um die PDS-Finanzen müsse „für einen Erneuerungsschub“ der Partei genutzt werden. Wenn das nicht gelinge, so Gysi zur taz, „dann ist alles vorbei“. Im übrigen müsse gewährleistet werden, daß die Abhängigkeit der Partei von seiner Person abgebaut werde. Es müsse „ein Wechsel im Parteivorsitz ohne Schaden für die Partei“ möglich sein. Ausdrücklich dementierte Gysi gegenüber der taz Berichte vom Wochenende, wonach Kaufmann ihn bereits vor einer Woche über die Schieberei informiert habe.

Währenddessen laufen die Ermittlungen um die verschobenen Millionen weiter. Die Berliner Polizei, die zusammen mit dem Bundeskriminalamt vor Ort in Moskau ermittelt hat, geht davon aus, daß die namentlich gekannten Skandalfiguren Pohl, Langnitschke und der frühere Hallenser PDS-Funktionär Karl-Heinz Kaufmann nicht die einzigen waren, die Teile des unter Sonderkontrolle stehenden PDS- Vermögens zur Seite schaffen wollten. Oberstaatsanwalt Neumann liegen „vage Hinweise“ vor, daß über die bekannten 107 Millionen hinaus weitere zweistellige Millionenbeträge verschoben wurden. Gegen Gysi selbst allerdings liegt nach Angaben der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach bisher nichts Belastendes vor.

Der PDS-Vorstand hat nach einer ganztägigen Krisensitzung am Sonnabend beschlossen, das Parteivermögen unter Beteiligung unabhängiger Wirtschaftsprüfer durchleuchten zu lassen. Die Partei will sich von allem trennen, was nicht zur unmittelbaren Parteiarbeit nötig ist. INTERVIEW SEITE 2

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