: Gysi: Auch BRD muß sich wandeln
■ PDS-Kundgebung: Zigtausende für eine „entmilitarisierte demokratische deutsche Republik“ / Gysi auf Erneuerungs-Kongreß: Hand zu SPD bleibt ausgestreckt
Berlin (adn/taz) - Mehrere zehntausend Mitglieder und Sympathisanten der PDS demonstrierten am Sonnabend auf einer Kundgebung im Ost-Berliner Lustgarten „für eine entmilitarisierte demokratische deutsche Republik“. Auf Transparenten protestierten sie gegen den „Vormarsch von Nato und Bundeswehr an Oder und Neiße“ sowie den „Abbau demokratischer und sozialer Rechte“.
PDS-Parteichef Gregor Gysi wertete es als Schande, daß der in Gang gekommene Prozeß zur Lösung des Ost-West-Konflikts nicht genutzt wurde, die Nato aufzulösen. „Es kann niemals unser Weg sein, die Ausbeutung der Dritten Welt fortzusetzen und deren militärische Beherrschung zu forcieren.“
Auf dem „Erneuerungs-Kongreß“ der PDS am Wochenende erklärte Gysi in einer zweistündigen Rede, die Hand zur SPD bleibe ausgestreckt. Die bisherige „verbissene Absage“ der SPD zeuge allerdings nicht gerade von Selbstbewußtsein der Sozialdemokraten. Gysi unterstrich, die PDS sei eine eindeutig andere Partei als ihre Vorgängerorganisation, die ehemalige DDR-Staatspartei SED. Allerdings könne derzeit noch nicht gesagt werden, sie sei eine völlig neue Partei. Die Erneuerung sei jedoch in voller Breite in Gang gekommen. Der Kongreß war in den vergangenen Tagen im PDS-Organ 'Neues Deutschland‘ durch mehrere Artikel vorbereitet worden. In dem Streit geht es unter anderem um die Frage, ob das, was in der DDR geherrscht hat, als Sozialismus zu bezeichnen sei. Leser kritisierten Merkmale des Einheits-Parteityps wie das „kulthafte Herausheben einzelner Persönlichkeiten“, auf deren Weisungen von oben alle warteten. Debattiert wird auch der Begriff der „Erneuerung“. Der Versuch der Erneuerung des Sozialismus sei auch in der DDR Vergangenheit, zitiert das 'ND‘ einen Leser aus Zittau. Die PDS habe die Rechtsnachfolge der SED, einen Teil von deren Vermögen und „auch ihre geschichtliche Verantwortung“ übernommen, es müsse jetzt aber um eine völlig neue, auch andere Partei gehen.
Gysi trat auf dem Erneuerungs-Kongreß seiner Partei dafür ein, daß sich mit dem Beitritt der DDR auch die Bundesrepublik grundlegend wandeln müsse. Es gehe dabei nicht um einen Übergang von einer „gescheiterten“ zu einer „überlebensfähigen“ Gesellschaft. Die DDR bringe durchaus akzeptable Werte ein. „Von den Parteien, die die BRD annektiert, ist die PDS immer noch eindeutig das Beste, was sie kriegen können.“ Der Kapitalismus, der die tiefen Probleme der Gesellschaft nicht löse, „kann und darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein.“ Nach Gysi leite die Krise des Sozialismus die Krise der Industriegesellschaft ein. Die PDS, erklärte Gysi, verstehe sich weder als sozialdemokratische noch als kommunistische Partei im bisherigen Sinne, sondern sei auf dem Weg zu einer modernen sozialistischen Partei. Der Sozialismus werde von der PDS nicht mehr als festgefügtes System begriffen, sondern als Prozeß in Richtung Demokratisierung der Verhältnisse mit revolutionärem Anspruch.
Die PDS-Abgeordneten in der Volkskammer werden, so Gysi, den Einigungsvertrag ablehnen, „da wir uns nicht mitschuldig machen können am Verrat der Bürger der DDR“. Gysi kritisierte die Entlassung von früheren SED-Kadern und Stasi -Leuten, die nach der Wende als Lehrer im Schuldienst untergebracht worden waren, als „Berufsverbote“. Die PDS, die aus der SED mit 2,3 Millionen Genossen hervorging, zählt gegenwärtig 350.000 Mitglieder.
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