Gutes Tun: Profis auf dem Ascheplatz

Das Projekt "Zweikampf-verhalten" soll verhindern helfen, dass Jugendliche bei Fußballspielen zuschlagen. Mit dabei sind als "Paten" Spieler des Hamburger SV. Und die sagen, dass es auch in der Bundesliga Gegner gibt, die fies sind und einen provozieren wollen.

Profis des Hamburger SV trainieren aggressive Jugendliche: Das Projekt "Zweikampfverhalten". Bild: Ulrike Schmidt

"Das ist dein Ball", feuert der lange Blonde den kurzen Blonden an. Der heißt Christian, ist 14, spielt beim Horner TV als linker Außenverteidiger, und hat beim Spiel nachgetreten. Drei Mal. "Wann warn das noch mal", fragt Christian, "und gegen wen warn das noch mal?" Nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass es nicht mehr vorkommt. Oder wenigstens nicht mehr so oft.

Der lange Blonde spielt auch als linker Außenverteidiger und zwar beim Hamburger SV. Marcel Jansen, vor ein paar Tagen 24 geworden, ist der einzig Verhaltensauffällige hier auf dem Platz des Horner TV. Jansen könnte auch noch einen Kurs bei "Zweikampfverhalten" brauchen. Damit er mal ein bisschen runterkommt.

"Zweikampfverhalten" wurde gegründet, weil in Hamburg bei Nachwuchsspielen krasse Dinge passieren. Es wird nicht mehr gefoult als früher, sagt Rebekka Salome Henrich, die pädagogische Leiterin, "aber die Qualität hat sich geändert". Der Gegenspieler kriegt eine vor den Latz, auch mal der Schiedsrichter oder die Zuschauer. Und nach dem Spiel gehts weiter. Was macht der Verband? Sperrt die Jungs. Was machen die Jungs? Haben kein Training mehr, keinen Trainer mehr, keine Mannschaft mehr, stehen auf der Straße. Bauen noch mehr Mist. Falscher Weg.

Finanziert wird der Verein "Zweikampfverhalten" von der privaten Initiative "Hamburger Weg", die sich HSV-Vorstandsmitglied Katja Kraus ausgedacht hat. Neun Hamburger Unternehmen zahlen dafür Geld in einen gemeinsamen Topf ein, aus dem dann soziale Projekte finanziert werden.

Die Spieler des HSV wählen sich das Projekt aus, zu dem sie am besten passen, um dann dafür eine Patenschaft zu übernehmen. Weitere solcher Projekte sind etwa:

"Adebar": Hier wird Schwangeren und jungen Familien in schwierigen Lebenslagen geholfen.

Bei "Mittagskinder" bekommen Kinder aus sozial benachteiligten Familien ein warmes Essen, können lernen und Sport treiben. Der HSV-Pate ist der selbsterklärte begeisterte Vater Mladen Petric.

"Eisvogel", ein Projekt des Naturschutzbundes; Paten sind Joris Mathijsen und Marcus Berg.

"Das sind keine bösen Jungs", sagt Jansen, "sie haben ein problematisches Umfeld". Als sie zusammenstehen und keiner zuhört sagt er ihnen, dass sie das nicht als Entschuldigung für sich benutzen dürfen.

Ein Kurs bei "Zweikampfverhalten" umfasst eine Auftakt- und eine Abschlussveranstaltung, ein dreitägiges Trainingslager und sieben Trainingseinheiten. Zwei Mal sind die Profis des HSV dabei, ansonsten leitet Thomas Pieper das Training. Ein Mal reden die Profis mit den Jugendlichen. Auch wichtig. Weil es ja auch in der Bundesliga fiese Gegenspieler gibt, die dich zu provozieren versuchen. Da muss man cool bleiben, auch nicht anders als in der B-Jugend-Bezirksliga. Und einmal trainieren die Profis mit den Jungs. Finanziert wird das Ganze vom "Hamburger Weg", einer Initiative des HSV, die Projekte für sozial Benachteiligte finanziert.

Die Spieler des HSV wählen sich als Pate das Projekt aus, zu dem sie am besten passen. Pate von "Zweikampfverhalten" ist Bastian Reinhardt, dessen Fuß zuckt, der aber nach seinem Mittelfußbruch noch nicht gegen den Ball treten darf, und der deshalb die Trainerpfeife im Mund hat. Reinhardt findet, dass ",Zweikampfverhalten' ein wichtiges Projekt ist", er "arbeitet gern mit Jugendlichen zusammen" und will ihnen helfen, "den richtigen Weg zu finden".

Was Reinhardt will ist jedoch nicht so wichtig, wichtiger ist, was er kann. Die Spieler können was erreichen, weil sie, anders als Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen, Richter und Staatsanwälte, Kredit bei den Jungs haben. Ihnen wird geglaubt. Sie kommen nicht mit dem Zeigefinger, sondern mit dem Ball. "Das ist unser Spiel", treibt Marcel seine Mannschaft nach vorne, "guter Schuss". Abklatschen. Die Jungs aus Horn und Farmsen sehen, "dass die ja gar nicht so sind, die Profis", sagt Christian, "sondern nett und locker", sagt Can. Gar nicht so anders als sie.

Reinhardt hat gehört, dass die Sache funktioniert und die Jugendlichen, die bei "Zweikampfverhalten" mitmachen, was kapiert haben und ihr Verhalten ändern. Ist auch nötig. Der in den roten Torwartklamotten ist Miguel. Er ist Schuld, dass alle hier sind auf dem Platz des Horner TV, denn er war maßgeblich daran beteiligt, dass der B-Jugendtrainer des Vereins, Jörg Cords, in der Halbzeit eines Spiels sagte: "Entweder ihr hört auf mit dem Scheiß oder wir melden die Mannschaft ab." Eine schlimmere Drohung gibts nicht. War ernst gemeint.

Daraufhin surfte eine Mutter der Jungs im Internet und fand dort "Zweikampfverhalten". Henrich und Pieper wurden zum ersten Mal von einem Club angefordert. "Warum nicht?", fragt die diplomierte Sozialpädagogin Henrich, die auch Coolness- und Anti-Aggressionstrainerin und Diplom-Kriminologin ist.

Bei diesem Spiel, alle haben den Gegner vergessen, war Miguel mit einer fetten Roten Karte vom Platz geflogen. "Der Gegner ist mir an die Gurgel", sagt er, "hier, so, und hat zugedrückt. Mir den Kehlkopf reingedrückt. Da hab ich ihn, hmm, weggeschubst." Bei der Verhandlung hat der Gegenspieler die Sache dann anderes dargestellt. Drei Monate Sperre. Oh Mann. Ein halbes Leben, wenn man 15 Jahre alt ist und im Tor steht.

"Ich will", sagt Miguel, "die Aggression aus meinem Spiel heraus haben. Ich will ruhig bleiben, das bringt nämlich mehr Spaß." Can sagt, dass man ruhig bleiben muss, auch wenn so ein Arsch "meine Mutter beleidigt". Darf man "nicht drauf anspringen", sagt Miguel, "sondern muss an was Schönes denken und sagen: ,Heute bin ich gut drauf', statt was zu machen". Schwer ist das. Schwer.

Heute sind Jungs aus Horn und Farmsen da. In Farmsen gibt es auch keinen grünen Rasen, sondern Asche, wie hier in Horn, weil die Leute eben keine haben: Asche.

"Seitdem wir das Training haben", sagt Trainer Cords, "hatten wir zwei Spiele". Eins 4 : 0 gewonnen, eins 0 : 4 verloren. Und? "Gut", nickt Cords. Nicht mehr, dass sich die Jungs nach dem Spiel zum Hauen verabreden, um auszutragen, was auf dem Platz nicht ging.

Alle stehen im Kreis, Arme auf den Schultern des Nebenmannes, Bastian Reinhardt sagt den Jungs, nach zwei Stunden im Nieselregen: "Ich will keinen von euch hier noch mal sehen - klar?" Klar Mann.

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