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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS MACHT Guten Abend, Antonia

In politischen Informationssendungen sind die Umgangsformen schlimmer als Zahnschmerzen

Kennen Sie das? Irgendwo ist da dieses blöde, kleine Geräusch, völlig unwichtig, nicht besonders laut – aber wenn es Ihnen einmal aufgefallen ist, dann können Sie es nicht mehr ertragen und warten mit steigender Wut auf das nächste Knacken, Kratzen oder Ticken. Es gibt auch diesen ganz leichten Zahnschmerz, beinahe nicht zu spüren, der binnen kürzester Zeit das ganze Denken und Fühlen beherrscht. Und es gibt politische Informationssendungen im Fernsehen, bei denen sich Umgangsformen eingebürgert haben, die an das seltsame Format „scripted reality“ aus dem Nachmittagsprogramm erinnern. Sie sind schlimmer als Zahnschmerzen.

Es fängt schon bei der Begrüßung an. Studiogast und Moderatorin sitzen einander gegenüber, und das Gespräch beginnt damit, dass die beiden einander einen „guten Morgen“ wünschen. Glaubt irgend jemand, dass sie sich den Tagesgruß nicht bereits entboten haben, bevor sie auf Sendung waren? Das glaubt niemand. Wenn sie aber schon bei einer so leicht vermeidbaren Floskel Theater spielen – warum sollte man ihnen irgendetwas anderes glauben?

Noch alberner sind die Fragen, die an zugeschaltete Korrespondenten gestellt werden. „Wer ist denn als Nachfolger von Guido Westerwelle im Gespräch?“ oder „Ist die Lage im japanischen Atomkraftwerk Fukushima jetzt endlich unter Kontrolle?“ Gebannte Aufmerksamkeit, atemlose Spannung. Als ob die Moderatoren die Tage und Stunden vor der Sendung in einem schalltoten Raum verbracht hätten, sorgfältig abgeschirmt von Tickermeldungen, Hörfunknachrichten und der Tagespresse. Es ist ja nicht so, dass es an Formulierungen mangelte, die die Intelligenz der Zuschauer nicht beleidigen. Eine schlichte Bitte um Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen wäre eine Wohltat.

Aber offensichtlich ist es Moderatorinnen und Moderatoren bei Strafe verboten, sich vor der Kamera wie halbwegs normale Menschen zu benehmen. Anders lässt sich auch der seltsame Brauch nicht erklären, dass alle möglichen Leute einander mit Vornamen und „Sie“ ansprechen, sobald das Rotlicht angeht. „Antonia, können Sie sich in Tripolis frei bewegen?“ Warum darf sie nicht einfach „Frau Rados“ heißen?

Weil Programmgestalter diese Form offenbar für modern und hip halten. Das ist sie nicht. Sie ist auch nicht elegant, nicht weltläufig, nicht smart. Sondern nur Effekthascherei. Als ob Nachrichten nicht effektvoll genug werden.

■  Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Amélie Losier