: Gutachten: Senatsumbildung war illegal
■ Freizeitheime klagen über Stellenstopp / Rechtsgutachten: Trüpel darf nicht zuständig werden
Seit fünf Tagen haben es die Bremer Koalitionäre schwarz auf weiß: Die Ressort-Verteilung im neuen Ampel-Senat widerspricht, was die Kompetenzen im Jugendbereich angeht, einschlägigen Bundesgesetzen. Konkret: Im „Kinder-und Jugendhilfe-Gesetz“ (KJHG) steht, daß der Bereich der örtlichen Jugendarbeit, der mit Kultur und Ausländerintegration das Ressort von Helga Trüpel bilden sollte, von der Jugendhilfe des Sozialressorts nicht abgetrennt werden darf. Diese „Einheit des Jugendamtes“ ist in dem Gesetz ausdrücklich begründet: Sie soll eine „flexible und dynamische Ausgestaltung des Hilfeprozesses“ ermöglichen.
Der Koalitionsausschuß war gestern nachmittag noch nicht voll im Bilde und wollte das heikle Thema noch einmal überschlafen. Die damit verhinderte Jugendsenatorin Helga Trüpel geht „im Prinzip“ davon aus, daß es bei Gesetzen wie dem KJHG immer auch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten gibt, sie will die Stellungnahme des Justizressorts „weiter prüfen“. Allerdings verfügt ihr Ressort noch nicht über eine Rechtsabteilung.
Ihr für den Aufbau der Abteilung Jugendarbeit zuständiger Mitarbeiter, der aus dem Sozialressort abgeordnete Wolfgang Lindemeyer, findet das Rechtsgutachten „nicht so eindeutig“: „Das ist eine Meinung aus dem Hause Scherf.“
Der Autor des Rechtsgutachtens im Justizressort, Rudolf Sauerwald, versichert demgegenüber, daß es keinerlei Einflußnahme des früheren Sozialsenators gegeben habe und daß das Gesetz da völlig eindeutig sei.
Falls sich der Senat dieser Rechtsauffassung anschließt, müsse man sich „politisch neu verständigen“, sagt Helga Trüpel.
Die Interessen des betroffenen Jugendbereichs gehen derweil in dem Zuständgkeitskonflikt unter. Mit einer Pressekonferenz machten gestern Personalräte auf die desolate Lage der Jugendfreizeitheime aufmerksam: Acht der insgesamt 58 Stellen, das sind 14 Prozent, sind aufgrund der großen Fluktuation in diesem Bereich derzeit unbesetzt und bleiben es, wenn es keine Ausnahme vom Stellenstopp gibt. Das bedeutet konkret: Im Freizeitheim Lüssum ist von drei MitarbeiterInnen eine seit Dezember krank, und es gibt keine Möglichkeit von Vertretung. In Walle sind von vier Stellen anderthalb nicht besetzt. In Osterholz-Tenever ist eine gerade begonnene getrennte Mädchen- und Jungen-Arbeit durch den absoluten Personalmangel bedroht.
Der Streit um die Zuständigkeiten ist den Personalräten zweitrangig. Einzelne Mitarbeiter in Freizeitheimen hatten die Abtrennung des Jugendbereiches für „nicht sinnvoll“ gehalten, andere seien eher dafür gewesen nach dem Motto: „Schlechter kann es nicht werden“ mit der Interessenvertretung der Jugendarbeit in der Bremer Politik.
Nachdem bei früheren Sparrunden schon insgesamt 25 Stellen gestrichen wurden, pfeifen die Jugendfreizeitheime auf dem letzten Loch. Wenn nicht schnell etwas passiert und Sicherheit über die Zukunft dieser Einrichtungen geschaffen wird, betonten die Personalratsvertreter, dann dürfte auch die Bereitschaft schwinden, fehlende KollegInnen durch unbezahlte Überstunden zu ersetzen.
Da die neue Geschäftsverteilung im Senat noch nicht umgesetzt ist, ist die Sozialsenatorin Uhl zuständig. „Die sagt eigentlich nicht mehr viel“, sagt Personalratsmitglied Rolf Herzog. Im Ressort Jugend und Soziales „interessiert sich niemand mehr dafür“, stellt der Personalratsvorsitzende des Amtes für Soziale Dienste in Nord, Hans-Georg Matthies, fest.
„Das Problem wird seit dem Spätsommer 1991 im Sozialressort verschlampt“, sagt Wolfgang Lindemeyer, der „Abtrünnige“ aus dem Sozialressort. Aber seine neue Senatorin Helga Trüpel, die sich in den vergangenen acht Wochen als neue Jugendsenatorin verstehen wollte, war weder rechtlich noch fachlich zuständig. Zwar hat die „Deputation für Ausländerintegration und Jugendarbeit“ einstimmig beschlossen, daß der Einstellungsstopp für den Freizeitheim-Bereich aufgehoben werden müßte, es gibt aber niemanden, beklagen die MitarbeiterInnen der Freizeitheime, der das in die heutige Sitzung des Senats einbringt und dort durchsetzt. K.W.
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