piwik no script img

Gustavs Misthaus

Die „schönste Rumpelkammer der Welt“ befindet sich hoch oben im nordböhmischen Isergebirge  ■ Von André Micklitza

„Bin im Himalaya und um 15 Uhr zurück.“ Diesen Zettel finde ich an Gustav Ginzels Briefkasten, als ich mich in seinem Domizil, dem Misthaus, einfinde. Das Misthaus steht hoch oben in den Bergen des nordböhmischen Isergebirges in Jizerka (Klein-Iser). Von der deutschen Grenze beinahe ein Katzensprung. Zum Glück ist Gustav aber schon seit einer Woche von einer Nepalreise zurück und gerade nur ein paar Stunden als Reiseleiter mit einer deutschen Touristengruppe im nahen Riesengebirge unterwegs.

Heute zählt das Misthaus zu den populärsten Anziehungspunkten im tschechischen Teil des Isergebirges. Die Gästeliste ist lang. Prominentester Besucher war sicher Heinz Eggert, der sächsische Ex- Innenminister, als er auf seinem Weg zu Präsident Vaclav Havel hier eine Stippvisite machte.

In den neuen Bundesländern kennt fast jeder Gustav Ginzel. „Bei Gustav kann man übernachten, wenn es zum Beispiel in Wanderherbergen noch zahlreiche freie Betten, aber nur dienstliche, tiefgefrorene Mienen gibt. Bei Gustav gibt es nie freie Betten, aber immer noch Platz“, schrieb die ostdeutsche Kulturzeitschrift Weltbühne schon im Jahr 1984.

Eine Führung im Misthaus dauert zwei Stunden, mit Lachen drei Stunden, Kurzführung 20 Minuten, Schnellführung zehn Minuten, Blitzführung fünf Minuten. Hier zeigt der Globetrotter Ginzel, daß das vermeintliche Chaos in seinem Haus nach logischen Gesichtspunkten geordnet ist. Die Besucher staunen über all die angehäuften kuriosen Mitbringsel, die Gustav von seinen Fahrten rund um den Globus mitbrachte. Indianergewänder aus Südamerika, Lava vom Popocatepetl, ein Ziegel vom Turm zu Babylon, eine Büchse Saharasand, geologische Fundstücke, Geweihe aus Sibirien, ein in Afrika gezogener Ginzel-Backenzahn ... Und dazu ein Schilderwald mit zumeist deutschsprachigen Hinweis- und Verbotsschildern, wie auf der verdächtig knarrenden Bodenstiege: „Privatweg, Benutzung auf eigene Gefahr.“ Oder das Schild „Gustavhain“, das ein Besucher von einer Dresdner Straßenbahnhaltestelle abmontierte und Gustav schenkte. Freunde des Misthauses nennen es die „schönste Rumpelkammer der Welt“.

Gustav Ginzel, Jahrgang 1932, wurde in Reichenberg, dem heutigen Liberec, geboren. Er ist Sudetendeutscher. In den fünfziger Jahren entdeckte Gustav das Reisen. In der Bergwelt seiner Heimat erprobte er sich als Bergsteiger, Pfadfinder, Skiläufer und Höhlenforscher. Ab 1968 startete er dann in die weite Welt zu seinen Expeditionen nach Sibirien, Südamerika und Afrika.

Das Misthaus und Gustav gehören untrennbar zusammen. Im Jahr 1963, als sein Vater das Gebäude entdeckte, diente es noch als Stall für Kuhmist, daher der Name. Ein Jahr später kaufte der Vater das Anwesen für ganze 345 Kronen, das sind heute knapp 20 Mark. Gustav leitete einen Fluß durch das Haus, warf den übriggebliebenen Mist hinaus und verkaufte ihn als Dünger. Das brachte mehr ein, als das Haus gekostet hatte. Und von seinem Bett aus fotografierte er einen Sonnenaufgang. Durch die Ansichtskarte kam der Hauskaufpreis mehrfach wieder rein.

Heute fließt der Bach immer noch durch das Misthaus, spült Bad und Klo gratis und wird als „Nachtgeschirrspülmaschine“ bewundert. Auch die Misthaus-Dusche, ein Wasserfall im Freien, ist ein Kuriosum. Dank hiesiger Schwefelquellen friert er nie ein. Wer bei minus 20 Grad noch zu duschen wagt, bekommt von Gustav ein persönliches Dusch-Diplom. Die Misthäusler schätzen auch die an einer Gardinenstange über dem Ofen aufgehängten Klobrillen. Man sieht sofort, ob draußen besetzt ist, und im übrigen sitzt es sich auf einer angewärmten Brille bei Dauerfrost wesentlich bequemer.

Nachweislich hat Gustav Ginzels Holzhaus schon im Jahr 1779 gestanden. Verschiedene Umbau- und Reparaturarbeiten haben den ursprünglichen Charakter des Bauwerks nicht wesentlich verändert. Schon seit über zehn Jahren ist Gustav mit seinem Misthaus Mitglied in der deutschen Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V.

Und wovon lebt Gustav? Vor allem von Vortragsreisen nach Böhmen, aber auch in den Osten Deutschlands, wo er oft für volle Säle sorgt. Daneben floriert sein Buch- und Ansichtskartenverkauf im Misthaus. Deutsche Touristen kommen fast täglich nach Jizerka. Denn die Umgebung hat einiges zu bieten: ausgedehnte Hochmoore und den dritthöchsten ehemaligen Vulkan Böhmens, den Buchberg (Bukovec), wegen seiner reichhaltigen Flora auch „Garten des Iserberges“ geheißen. Und im nahen Korenov (Wurzelsdorf) gibt's den einzigen Normalspurzahnradbahnhof Böhmens.

Die Landschaft wie auch das harte Klima erinnern an skandinavische Gefilde. Ein Ort wie geschaffen für gestreßte „Zivilisationsflüchtlinge auf Zeit“. Als ich mich am dritten Tag von Gustav Ginzel verabschiede, meint der nur: „Komm doch nächste Woche einfach wieder.“

Anmeldung: Gustav Ginzel, CZ-46850 Jizerka 8 (bitte deutsche Briefmarke für Rückantwort beilegen!)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen