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■ Gurkenzeit-Experiment in den NiederlandenSommerlochzusammenlegung

Den Haag (taz) – Nicht nur in deutschen Redaktionsstuben nähert man sich derzeit dem tiefsten Punkt des Sommerlochs. In den Niederlanden wird die nachrichtenarme Zeite einfach „komkommar-tijd“ („Gurkenzeit“) genannt, ohne das saure Adjektiv. Schlicht ist auch die Idee, mit der Redakteur Ariejan Korteweg von der landesweit erscheinenden Tageszeitung Volkskrant (Auflage: 355.000) in diesem Sommer seine Spalten füllt. Sommerlochzusammenlegung! Korteweg räumte die letzte Zeitungsseite frei für den Blick in die ausländische Provinz, dorthin, wohin sich in diesen Monaten auch der tapferste Tourist nicht verirrt.

Zum Beispiel ins ostdeutsche Guben. Die feste Rubrik „dag in, dag uit“ erschien fortan in gotischen Lettern: „tagaus, tagein“. Der Volkskrant-Leser blätterte und sah sich unerwartet mit dem Lokalgeschehen des brandenburgischen Grenzstädtchens (32.690 Einwohner) konfrontiert.

„Gubener Geschäftsleute klagen über Verkehr“ lautete der Aufmacher am ersten Tag des Experiments, daneben ein Bericht mit Foto: „Zirkus hat kaum Publikum“. Die Redakteure Eric von den Berg und Henrico Prins gingen an die Arbeit, als seien sie alteingesessene Lokalreporter. In einer Gubener Pension bezogen sie Quartier (Prins: „Ich schlief in Deutschland schon in schlechteren Betten“), einer ihrer ersten Wege führte sie zur Lokalpresse, der Gubener Rundschau. „Das war bequem“, so Prins. „Der Redaktionsleiter verteilte noch einige wertvolle Tips. Daß wir etwa bei Polizeigeschichten besser nicht die örtliche Wache anrufen, sondern gleich das Präsidium in Cottbus.“ Beide studierten den Rundschau- Terminkalender. Und der ostdeutsche Redaktionsleiter Jan Siegel wollte das journalistische Gastspiel seinen AbonnentInnen natürlich nicht vorenthalten. Bloß daß er in seinem Artikel in der Gubener Rundschau annahm, die niederländischen Kollegen blieben nur einen Tag. Sie blieben aber, zum besonderen Entsetzen ihrer holländischen LeserInnen, eine Woche.

„Marktfrau Hildegarda verdient kaum an Zigaretten“, „Kulturzentrum muß Völker verbinden“. Nach einer Woche „schuften wie noch nie“ meint Prins über Guben: „Die meisten Aktualitäten entstehen doch durch die Grenzlage.“ Den Redaktionsschluß um 15 Uhr im Nacken, schickten Prins und van den Berg bienenfleißig ihre Texte tagtäglich per Modem zur Volkskrant. Fotos und auch Anzeigen erreichten über Datenleitung Amsterdam. Und so warb der örtliche Steinmetzbetrieb Gutjahr („Ausführung sämtlicher Friedhofsarbeiten“) nun auch in den Niederlanden.

Wegen brisanter Enthüllungsgeschichten wie „Einspruch soll den Bau der Umgehungsstraße nicht verzögern“ oder „Chemie Guben will aus Kreisliga aufsteigen“ klingelten verwirrte und empörte LeserInnen bei der Volkskrant an. Die Ratlosigkeit wurde im Wochenverlauf immer größer. Wo bitte liegt der Sinn? mußte sich der daheimgebliebene Redakteur Korteweg fragen lassen. Seine keineswegs ironisch gemeinte Antwort: „Wir suchen nach Orten, wo das Leben während des Sommers ein klein wenig weitergeht.“ Andere Leser wollten wissen, wie lange das noch so weitergehen solle. Ihnen wurde eröffnet, daß Volkskrant-Reporter nach dem ersten Ausflug nun noch in die Käffer Vejle (Dänemark), Hazebrouck (Frankreich) und Ballina (Irland) weiterreisen würden. So hatten sich die Leser die europäische Einigung allerdings nicht vorgestellt. Ob es der Volkskrant ums „bome omhakken“ („Baumfällen“) gehe, schrieb einer voller Empörung über die Papierverschwendung. Harald Neckelmann

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