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Gundula Oerter über schlechte Flüchtlingspolitik„Ein unhaltbarer Zustand“

MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative lehnen ab, von Innensenator und Sozialsenatorin als Ehrenamtliche gewürdigt zu werden. Gundula Oerter erklärt, warum.

Keine Ehrung von der falschen Seite bitte: Flüchtlingsinitiativen werfen der Politik Heuchelei vor. Bild: dpa
Jean-Philipp Baeck
Interview von Jean-Philipp Baeck

taz: Frau Oerter, warum ist die Flüchtlingsinitiative so undankbar?

Gundula Oerter: Warum sollten wir dankbar sein? Wir machen unsere Arbeit aus anti-rassistischer Überzeugung und nicht, um vom Senat geehrt zu werden.

Deshalb haben die MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative es abgelehnt, dass Innensenator und Sozialsenatorin sie für ihr ehrenamtliches Engagement würdigen?

Ja. Die SenatorInnen sollen unsere inhaltlich fundierte und seit Jahren formulierte Kritik ernst nehmen und umsetzen. Dass ausgerechnet diese beiden Stellen uns würdigen wollen, ist grotesk.

Wieso ist das grotesk?

Gundula Oerter

50, ist eine von acht Ehrenamtlichen der Flüchtlingsinitiative. Ihre Arbeit finanzieren die AnwältInnen, PsychologInnen und SozialpädagogInnen seit 21 Jahren über Spenden.

Es sind ja genau die Behörden dieser beiden Ressorts, die unsere Arbeit erst nötig machen und den Menschen, die wir beraten, das Leben erheblich erschweren – wie die Ausländerbehörde, das Standesamt, die Sozialzentren.

Welche Probleme tauchen auf?

Da gibt es viele! Zum Beispiel eklatante Falschentscheidungen oder die fehlende Information über bestehende Rechte, außerdem werden Ermessensspielräume systematisch nicht ausgenutzt. Bei Anträgen auf Aufenthalt wird die Lebensunterhaltssicherung gefordert, wo dieser keine Voraussetzung ist, die Echtheit von Dokumenten wird angezweifelt, wo es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt, Leute werden zur Ausreise aufgefordert, obwohl sie durchaus einen Aufenthaltsgrund haben und so weiter. Von den Sachbearbeitern werden die Betroffenen auch häufig respektlos behandelt, wir hören immer wieder von rassistischen Äußerungen.

Hat nicht Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) mehrfach darauf hingewirkt, dass Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge ausgelegt werden?

Ja, es gibt einzelne Erlasse, aber die sind längst nicht ausreichend. Und die Erlasse, die es gibt, werden in den Bescheiden der Ausländerbehörde sehr häufig nicht berücksichtigt. Ein Großteil unserer Arbeit besteht deshalb darin, die Ausländerbehörde dazu zu bringen, sich an geltendes Recht zu halten. Das heißt natürlich, dass die Leute, die nicht in unsere Beratung kommen und auch kein Geld für eine Rechtsanwältin haben, die ihnen zustehenden Rechte nicht gewährt bekommen. Asylsuchende erhalten außerdem keine gesicherte Asylverfahrensberatung. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Ist Bremen dazu verpflichtet, die Beratung zu organisieren?

Wenn es in einer Stadt eine zentrale Erstaufnahmestelle gibt, ist es ein Muss, eine ausreichende Asylverfahrensberatung zu gewährleisten. Bremen finanziert dafür bisher nicht mal eine volle Stelle.Wir veranschlagen pro Person und Asylverfahren drei bis fünf Stunden. Das ist realistisch, um Leute angemessen auf ein so komplexes Verfahren vorzubereiten, bei dem es um asylrelevante Fluchtgründe geht und mitunter um die gesamte Lebensgeschichte – und vor allem um deren Zukunft.

Das Bundesamt verweist auf Sie als ehrenamtliche Beratungsstelle.

Im Sinne der Betroffenen finden wir das total okay. Mit Blick auf den Staat ist es nicht in Ordnung. Bremen muss dafür sorgen, dass das Asylrecht von den Betroffenen auch in Anspruch genommen werden kann, und das bedeutet eine ausreichende Finanzierung einer Rechtsberatung. Es geht nicht, dass staatliche Aufgaben reihenweise auf Ehrenamtliche abgewälzt werden.

Können staatlich finanzierte Stellen überhaupt unabhängig beraten?

Das ist nicht leicht, aber das muss dabei rauskommen. Zumindest geht es nicht, dass diejenigen, die beraten, gleichzeitig entscheiden. Und es ist auch fragwürdig, dass die beraten, die eine Monopolstellung bei der Unterbringung haben.

Sie meinen die Arbeiterwohlfahrt, die die Flüchtlingsheime bewirtschaftet?

Ja. Für die Menschen muss unterscheidbar sein, wo sie ihren Asylantrag stellen, wo sie wohnen und wer sie berät. Bei einem Asylverfahren muss ich vortragen, wo ich verfolgt und in meiner Unversehrtheit verletzt wurde. Das sind sensible Punkte, dafür braucht es in der Beratung ein Vertrauensverhältnis.

Sollte also die Flüchtlingsinitiative staatlich finanziert werden?

Uns geht es um politische Veränderung und nicht um Geld. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen den gleichen Zugang zu Ressourcen haben. Dann sind Beratungsstellen wie die unsere auch gar nicht mehr nötig.

Hätte die Würdigung Ihrer ehrenamtlichen Arbeit nicht Ihre Position gestärkt?

Nein, das ist eine Show-Veranstaltung ohne jede politische Relevanz. Verhandlungspositionen werden aber immer nur durch gute Inhalte gestärkt – und die vertreten wir.

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14 Kommentare

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  • Das ist doch sonnenklar. Eine unabhängige Initiative mit ihrer inneren Einstellung gegen den Staat möchte doch nicht von eben demselben gelobt werden- während sie ständig die Versäumnisse und den Mangel an möglicher Mitmenschlichkeit anprangert.

     

    Lange leben die unabhängigen Initiativen.

     

    Eine Auflösung rassistischer Anschläge und Hetzreden wären besser als tausend Ehrungen.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Versteckt??? Das Hauptargument, in fast allen meiner Kommentare, ist die offensichtliche Dummheit unseres "Zusammenlebens", die ich auch mit dem "Schwert" bereit wäre auszumerzen, wenn ..., weshalb ich auch absolut nicht als Gutmensch zu bezeichnen bin :-(

  • "Ein Großteil unserer Arbeit besteht deshalb darin, die Ausländerbehörde dazu zu bringen, sich an geltendes Recht zu halten."

     

    Das kann man einfacher haben: Einfach einen Hungerstreik organisieren.

     

    Außerdem die Grundregel beachten: Es kommt nicht auf Recht an, sondern auf Menschlichkeit, außer wenn es darum geht, dass man Rechte hat, dann sind die gefälligst zu gewähren, vollständig.

    • G
      Gast
      @Claudia Cometh:

      Immer schön weiter hetzen... habt ihr Faschos so viel Angst, dass euch nichts besseres einfällt? Wir sehen uns auf der Straße!

      • @Gast:

        Gerne, aber unbedingt eine Predigt von Pfarrer König mitbringen, wahlweise gebrauchte Schlüpfer von der Namensvetterin Claudia R.

  • AW
    Arnold Weidgang

    Vorschlag an die Befürworter und Gutmenschen: Jeder der vorschlägt das wir Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge aufnehmen sollen, wird gesetzlich dazu verpflichtet diese Menschen bei sich privat aufnehmen zu müssen und für deren Lebenshaltungskosten incl. Krankenversicherung auf zu kommen. Egal wie hoch oder niedrig sein Einkommen ist. Und dies solange bis die "Gäste" selbst für ihre kpl Kosten aufkommen können. Ich sehe nicht ein morgens um 5 Uhr aufstehen und bis ca. 20.00 Uhr zu arbeiten, damit die Ausbildung meiner Kinder gesichert ist, und ich auch noch für Wirtschafts- u Armutsflüchtlinge zahlen soll. Wenn Deutschland so reich ist, warum müssen wir in der Schule meiner Tochter als Eltern eine Spende u.a. für intakte Toiletten unserer Kinder zahlen. Wir brauchen selbst in Deutschland Geld für Bildung Infrastruktur und unsere Rentner.

    • G
      Gast
      @Arnold Weidgang:

      Erstens: Das mit dem herunter rechnen auf einen Haushalt und "sollen die Befürworter doch welche aufnehmen" funktioniert so nicht, das Beispiel ist verkürzt.

       

      Zweitens: Dass Sie morgens um 5 Uhr raus müssen und Abends um 20 Uhr erst wieder zu hause sind, ist ein nicht hinnehmbarer Zustand.

      Die Schuld daran tragen allerdings weder Flüchtlinge, noch ALG II Bezieher noch sonst wer sondern die massiv verschwenderische Fehlpolitik die in Deutschland und Europa betrieben wird. Die skrupellose Förderung ausbeuterischer Leiharbeit zum Beispiel, die zwingt Sie und alle anderen zu ackern wie die blöden weil man lieber mit wenig als mit gar nichts da steht.

       

      Was ist mit den Bankenrettungen, den sinnlosen Subventionen, den Rüstungsausgaben die kein Mensch braucht?

      Wie viel konstruktives könnte man mit diesem Geld schaffen?

      Wie viele neue Lehrer ausbilden und einstellen, wie viele Schulen modernisieren?

      Wie viel in Infrastruktur gerade in der Provinz investieren?

      In welchem Maße die Sozialsysteme entlasten?

      Die paar Flüchtlinge stellen nicht im geringsten ein Problem für uns dar.

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Arnold Weidgang:

      "Wenn Deutschland so reich ist, warum müssen wir in der Schule meiner Tochter als Eltern eine Spende u.a. für intakte Toiletten unserer Kinder zahlen."

       

      Bis zum Ende dieses Satzes, hätte man noch an realpolitische Satire glauben können, aber du bist offenbar auch einer von denen, die da im Falle eines Falles rufen: "Warum kann Gott das zulassen"!?

       

      "Wirtschaftswunder" und "soziale Errungenschaften" - wahrscheinlich glaubst du auch an den Weihnachtsmann, bzw. hast es lange getan, bis das "gesunde" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs "dein Denken" ...!?

      • H
        HTO_Gutmensch
        @688 (Profil gelöscht):

        Lieber HTO, hast Du in Deinem Kommentar auch mal ein Argument versteckt?



        Das Geld, was Du herzensguter Gutmensch ausgeben willst, muss erst einmal verdient werden. Warum fängt DU damit nicht mal an?

         

        RED.: Kommentar gekürzt

        • 6G
          688 (Profil gelöscht)
          @HTO_Gutmensch:

          Versteckt??? Das Hauptargument, in fast allen meiner Kommentare, ist die offensichtliche Dummheit unseres "Zusammenlebens", die ich auch mit dem "Schwert" bereit wäre auszumerzen, wenn ..., weshalb ich auch absolut nicht als Gutmensch zu bezeichnen bin :-(

  • D
    D.J.

    Gefälschte (gekaufte) Dokumente sind nun mal eine Riesenproblem bei Asylverfahren. Wie wäre es denn mal mit einer klaren Analyse statt steten Leugnens? So etwa läuft es in Afghanistan:

     

    http://www.theguardian.com/world/2012/jan/18/afghanistan-people-smugglers-taliban-europe

     

    Für mich interessant ist, dass Verfolgte hier Asyl bekommen. Möglicherweise ist das auch durch eine Wiedereinführung von Botschafts-Asylanträgen gewährleistet. Das Leugnen von Betrug (den ich den Betreffenden noch nicht einmal übelnehme) ist aber völlig kontraproduktiv (es sei den, man lebt in einer überaus wunderlichen "No-border"-Welt).

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Flüchtlingspolitik ist IMMER schlecht!!!

     

    Mensch braucht eine Welt- und Werteordnung OHNE ..., damit niemand flüchten muß - doch leider beginnt das Einlullen mit der systemrationalen Bildung zu konfusionierter Suppenkaspermentalität, für die Symptomatik des "gesunden" Konkurrenzdenkens des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um ...!

     

    Erst wenn wir NICHT MEHR mit "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" KOLLABORIEREN, wird Mensch wirklich-wahrhaftige Kommunikation praktizieren.

    • S
      Steffi
      @688 (Profil gelöscht):

      Können Sie das mal übersetzen?

  • G
    Gast

    Solidarische Grüße an Frau Oerter. Es gibt Sachen, die müssen langfristig ins gesellschaftliche Erinnerungsvermögen, einen groben Überblick hat Sie gegeben.

    Gut zu wissen, dass es noch Menschen gibt die sich nicht von Behörden und Staatsshow einlullen lassen.