Guerilla Gardening: Unkraut jäten im Untergrund
Viele BerlinerInnen begrünen kleine und große Brachflächen, meist ohne Genehmigung. Politik und Verwaltung freuen sich über das Engagement, plädieren aber für Absprachen.
Unschuldig wiegen sich die Sonnenblumen auf dem Seitenstreifen der Skalitzer Straße in Kreuzberg im Wind. Wo einst ein Baum stand, wachsen sie auf einem kleinen Erdflecken in der Asphaltdecke. Während einige Meter weiter auf einer ähnlichen Stelle das Unkraut wuchert, hat sich hier jemand erbarmt und für einen gelben Farbtupfer gesorgt.
In der Raumerstraße im Prenzlauer Berg sind es Stockrosen, mit denen ein Unbekannter die Baumscheibe genannte Erde rund um einen Baum begrünt hat. Einige Meter weiter, in der Dunckerstraße, wuchert Rosmarin, wo sich sonst nur Hunde erleichtern. Vor den Cafés am Helmholtzplatz blühen Dahlien und Begonien.
Hat man einmal begonnen, darauf zu achten, sind sie überall, diese einsamen Pflanzen in der Betonwüste. Was man nicht sieht: Diese Blumen sind illegal. Denn sie wurden nicht von der Stadt, sondern von Privatpersonen gepflanzt, ganz ohne Genehmigung und als Teil einer Bewegung, die erst wenige Jahre alt ist und einen revolutionären Namen hat: "Guerilla Gardening".
Marie trägt eigentlich einen anderen Namen und ist am Telefon noch recht verschlafen. Sie ist eine von vielen Berliner Guerilla-Gärtnern und bepflanzt in ihrer Freizeit gerne Baumscheiben. "Seit fünf Jahren bin ich aktiv", erzählt die junge Frau. Gezielt suche sie sich ungepflegte Flächen aus und pflanze dort je nach Jahreszeit Lavendel, Rosmarin oder auch Blumen. "Wichtig ist mir, dass sich jemand um die Pflanzen kümmert", meint sie. "Sonst macht für mich das Ganze keinen Sinn." Auch wenn ihre Pflanzaktionen eigentlich illegal seien, sei sie tagsüber unterwegs. "Ärger hatte ich bisher deswegen aber noch nie." Zusehen darf man ihr bei einer ihrer Touren dennoch nicht, und auch die Frage nach ihren Motiven lässt sie offen.
Hier muss ein Fachmann weiterhelfen. Leif Knüppel studiert Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam und hat sich bei der zweiwöchigen Sommerakademie des Kulturnetzwerks "Synaxis Baltica", das vor Kurzem in Potsdam tagte, mit dem Thema befasst. Das 2002 gegründete Netzwerk besteht aus Studenten des Kulturmanagements und der Kulturpolitik von zwölf Universitäten aus dem Ostseeraum, die sich in diesem Jahr des Themas Guerilla Gardening angenommen haben.
"Es gibt keine feste Szene, sodass man auch schwer Strukturen ausmachen kann", sagt Knüppel. Es seien sehr individuelle Überzeugungen, die die Menschen zu Schaufel und Blumensamen greifen ließen. "Einige nutzen das Pflanzen auf öffentlichem Raum als subversives Mittel für ihre politische Botschaft, die von Kritik an Eigentumsverhältnissen bis zu einem stärkeren Umweltbewusstsein reichen kann." Als Beispiel nennt er die Bepflanzung des Zauns um den Flughafen Tempelhof: "Die Blumen dort sind wie ein Zeichen, dass die Bevölkerung den Platz für sich beansprucht - auch wenn die Polizei die Fläche gegen Eindringlinge verteidigt."
Daneben gebe es jedoch auch viele Stadtgärtner, denen gar nicht klar sei, dass sie Guerilla Gardening betrieben. "Die setzten vor der Haustür ein paar Blumen in die kahle Erde, einfach, damit es in ihrer Nachbarschaft schöner aussieht", meint Knüppel. Auch Restaurants, die ihre Stühle rausstellen und die anliegenden Beete bepflanzten, gehörten streng genommen zu der Bewegung. "Ich wohne in Kreuzberg und sehe jeden Tag solche Guerilla-Beete. In Berlin gibt es sie fast überall."
Das einzige bekannte organisatorische Element der ideologisch motivierten Gärtner ist die Internetseite www.guerillagardening.org. "Dort kann man sich in einem Forum mit anderen zu einer gemeinsamen Pflanzaktion verabreden oder auch mal ein paar Tipps bekommen, welche Blumen sich besonders eignen", erklärt Knüppel. Es gilt auch hier die alte Gärtnerregel: je widerstandsfähiger desto besser. Aussaat- und damit Hochzeit des Guerilla Gardenings sind April und Mai.
Ein Blick in das Forum zeigt, dass ein reges Interesse am illegalen Pflanzen in Berlin besteht - jedoch auch aufseiten der Medien. Zahlreiche Zeitungen, Magazine und Fernsehteams suchen dort nach Protagonisten für ihre Reportagen, jedoch ohne erkennbaren Erfolg. "Wildgärtnern ist offiziell illegal! Wenn sich irgendjemand mit der Kamera begleiten lässt, dann kann das rechtliche Konsequenzen für diejenigen haben!", schreibt eine Nutzerin.
Petra Roland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sagt dazu: "Findet eine rechtswidrige Aneignung von Freiflächen statt, sind wir natürlich nicht einverstanden." Wer illegal städtisches Land bepflanze, müsse damit rechnen, dass die Blumen bald wieder verschwänden. Welche genauen Konsequenzen es für jemanden habe, der beim Pflanzen erwischt wird, das kann sie jedoch nicht sagen.
Der Senat sei allerdings nicht prinzipiell gegen privates Engagement: "Alles Grün, was die Stadt hat, kann nur gut sein", meint Roland. Es bedürfe jedoch genauer Absprachen, wo was gepflanzt werde. "Wer gerne gärtnern möchte, sollte das Gespräch mit dem Eigentümer suchen." Es müsse auch nicht unbedingt Geld fließen. "Wichtig ist, dass sich auch langfristig jemand um die Pflanzen kümmert."
Die parteilose Bezirksstadträtin für Bauen, Wohnen und Immobilienservice in Friedrichshain-Kreuzberg, Jutta Kalepki, ergänzt: "Problematisch ist es, dass die Gärtner in ihrem Enthusiasmus oft nicht beachteten, welche Pflanzengemeinschaften sich gegenseitig einschränken." Dies sei besonders beim Begrünen der Baumscheiben entscheidend. "Mir liegt daran, dass die Engagierten sich vorher entsprechendes Wissen aneignen und sich auch langfristig um ihre Blumen kümmern", sagt Kalepki. Andernfalls müssten die Ämter später doch die Verantwortung übernehmen. Daher plädiert sie für eine Kooperation mit Absprachen zwischen den Gärtnern und der Verwaltung: "Dadurch fällt natürlich der Reiz weg, etwas Verbotenes zu tun."
Einen legalen Mittelweg hat sich Marco Clausen mit seinem Geschäftspartner Robert Shaw gesucht. Ihr Projekt sprengt jedoch auch die Maßstäbe über Nacht bepflanzbarer Baumscheiben: Als Zwischennutzer haben die beiden in diesem Sommer für zwei Jahre die 5.000 Quadratmeter große Brachfläche zwischen Moritzplatz und Prinzessinnenstraße in Kreuzberg gemietet. Als urbane Landwirte, wie sie sich selbst bezeichnen, wollen sie in ihrem "Prinzessinnengarten" in großen Brotkörben Gemüse anbauen. "Da wir nur Zwischennutzer sind, ist es wichtig, dass unsere Beete mobil sind und später mit uns an einen neuen Standort umziehen können", sagt Clausen.
Die Idee hinter der Landwirtschaft in der Stadt komme aus Kuba, erklärt Clausen. "Dort werden auch die Großstädter zu Selbstversorgern, indem sie freie Flächen beackern." In Berlin wollen die beiden vor allem Kinder und Jugendliche in den Anbau mit einbeziehen. "Neben diesem pädagogischen Teil werden wir auch eine Gastronomie ansiedeln, schließlich wollen wir beide von dem Projekt leben." Für ihr Gemüse streben sie das Biozertifikat an.
Noch wächst auf ihrem Gelände meterhoch Unkraut. Doch der gröbste Müll wurde bereits abgetragen und die ersten Beete bepflanzt. Durch ihr Engagement wird eine ehemalige Brache wieder sinnvoll genutzt, bis eines Tages auch hier eine Baulücke geschlossen wird. Durch ihre Mietzahlung, die jedoch nicht dem realen Grundstückswert entspricht, ist ihr Projekt legalisiert, was es von den vielen Blumen an den Baumscheiben unterscheidet.
Und mit ihren mobilen Beeten sind sie auf das Schicksal des Umzugs besser vorbereitet, als es der Gemeinschaftsgarten Rosa Rose in der Friedrichshainer Kinzigstraße war. Dort hatten 2004 Anwohner ebenfalls in Eigeninitiative eine Brache besetzt und urbar gemacht. Im Juli mussten sie den Garten jedoch wieder aufgeben, da das Grundstück bebaut wurde (taz berichtete).
"Ich finde das Begrünen der Stadt durch private Initiativen ganz bezaubernd", sagt Kalepki. "Die Stadt muss verschönt werden, und da ist jede Unterstützung willkommen." Bis irgendwann die letzte Freifläche mit Beton überzogen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten