piwik no script img

■ Gruppenegoistische VereinnahmungsstrategienMit Laserstrahlen gegen Herzeleid

Krankenkassen, Krankenhäuser und Arztpraxen sollen für möglichst viele Bundesbürger möglichst preiswert möglichst viel Gesundheit bewirken. Die Gesundheitsversorgung ist ein Gemeinschaftswerk: Alle sind verpflichtet, mit den Versicherten-Geldern des „kleinen Mannes“ oder der „kleinen Frau“ sparsam umzugehen.

Das Lobbyisten-Geschrei gegen das Gesundheitsstrukturgesetz 93 spiegelt die Scheinheiligkeit der Profiteure unter den bestehenden Bedingungen. Der Gesetzgeber dämpft die jährlichen Ausgabenzuwächse von 10 auf 5 Prozent. Für die Gesundheitsversorgung in diesem Jahr stehen 210 Milliarden Mark – zehn Milliarden mehr als im letzten Jahr – zur Verfügung.

Die Systemkrankheit der Gesundheitsversorgung ist die mangelnde soziale Verantwortlichkeit der beteiligten Professionen und Institutionen. Fehlende Kooperation, ein falsches Menschenbild und die Schulung eines gläubig-unterwürfigen Patienten sind die Viren. Sie verwenden ihre intellektuelle und fachliche Potenz darauf, mit den anderen zu konkurrieren und die Systemmöglichkeiten lukrativ auszuschlachten. Gruppenegoistische Vereinnahmungsstrategien aus der „Solidarkasse“ der gesetzlichen Krankenversicherung binden die Kräfte. Statt miteinander, arbeiten Kassen, Krankenhäuser und Ärzte gegeneinander, keiner orientiert sein Denken und Handeln an der sozialen Verantwortung oder menschlichen Aufgabe.

Wenn alle Beteiligten überlegen würden, was medizinisch sinnvoll, menschlich angemessen oder ärztlich verantwortlich ist, gäbe es eine andere Krankenversorgung. Die Gesundheitsversorgung und ihre Profis sollten bei jedem Patienten die Frage stellen, was dieser Mensch braucht, um trotz eines körperlichen, seelischen oder sozialen Handicaps möglichst selbständig und selbstbewußt leben zu können. Die Reduktion des Lebens auf eine intakte oder defekte Körpermaschine kennzeichnet die Fehlorientierung des gesamten Medizinsystems. „Ich war mental schlecht drauf“, sagte Boris Becker nach einem verlorenen Spiel. Mentale Heilkräfte leugnet die moderne Medizin. Der Wert aus dem Labor oder der intakte Muskel-Apparat bringen angeblich den Erfolg.

Die Gesundheitspolitik in Bonn kuriert an Symptomen herum. Sie gleicht einem Arzt, der Herzeleid mit Laserstrahlen bekriegt oder Einsamkeit mit Valium beruhigt. Die Gesetzgebung produziert mißtrauische Kontrollen und bürokratische Schikanen. Die Bonner Politik setzt auf die herkömmliche Medizin und nicht auf eine perspektivistische Erneuerung ärztlichen Handelns. Es fehlt der Mut zur Investition in menschliche Zuwendung und zwischenmenschliche Hilfe. Statt Gesundheit für die Bürger zu fördern, verlängert dies die Vermarktung der Krankheit. Dr. med. Ellis E. Huber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen