Grüne/Bündnis90-betr.: "Wenn der grünen Basis der Kamm schwillt", taz vom 29.2.92 / betr.: "Verhandlungen" (Die Vereinigung der "Grünen" und des "Bündnis 90" macht die Basokraten munter) von Götz Aly, taz vom 29.2.92

betr.: „Wenn der grünen Basis der Kamm schwillt“, taz vom 29.2.92

Der schwellende Kamm ist das einzig treffliche Bild in dem Artikel über den spitz-lippigen Angriff der „Lippe-Basis-Leistungsträger“ gegen ein Aufeinanderzugehen und Ineinanderaufgehen zwischen Grünen und Bündnis90. Was bleibt Hahnenkampf-Fixierten auch, wenn die Flügel weggemausert sind und das Fingerspitzengefühl in alten Ästen krampfhaft krallt.

Ernster: Die historische Chance einer offenen Neubesinnung im freien Streit um demokratisch-ökologische Positionen wird mit Vorab- Beschwörungen der eigenen Richtigkeit und personenbezogenen Verrats-Bezichtigungen gegen die „Templin-Weiß-Herberts...- Bande(!?)“ nicht nur gegenüber dem Bündnis verhindert. Auch innerparteilich in West und Ost schließen solche Angstpapiere die schrumpfende Grüne Wagenburg ein, mit der maximal zehn Prozent der eigenen Mitglieder noch lebendig verkehren.

Statt Ausgrenzungen voller Berührungsängste durch selbst-ernannte Parteiprogrammsicherheitsdienste und auch durch unglückliche Vorstands-Memoranden (wie von Ludger Volmer im Dezember), gilt es einen lebendigen Prozeß des neugierigen Berührens und gegenseitigen Kennenlernens (auch der Unterschiede) zu organisieren, der auch neue und verlorene Kräfte wieder aufrühren kann. Gemeinsame Perspektiven-Kongresse, offene, dezentrale Themen-Foren, inhaltliche Kampagnen stehen jetzt an.

Das abschätzige Verweisen auf die nur 2.000 Bündnis-Mitglieder, verbunden mit gewagten wahlarithemtischen Drohungen („...für viele Wähler der Grünen... die diffuse Programmatik des Bündnis90 nicht wählbar sind und die Wahlarithmetik „Grüne Wähler plus Bündnis90 Wähler“ nicht nur trügerisch ist, sondern als falsch erweisen wird.“) ist nicht nur angesichts des Zustandekommens unserer letzten Stimmen im Bundestag etwas peinlich daneben.

Nun denn, ich denke, die grüne Seele ist noch nicht gänzlich angst- zerfressen, so daß in zwei Jahren eine neu-vereinte ökologisch-demokratische Kraft, wieder den historischen Aufgaben gemäß politikfähig ist. [...] Hermann Strahl, Unna

betr.: „Betr.: Verhandlungen“ (Die Vereinigung der „Grünen“ und des „Bündnis90“ macht die Basokraten munter) von Götz Aly, taz vom 29.2.92

[...] Geis und Aly gießen unentwegt Spott und Häme auf die West-Grünen und auf die Gesamtpartei der Grünen und schlagen sich unkritisch auf die Seite des Bündnisses 90. Sicherlich hat jeder in der taz-Redaktion das Recht, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Nur warum enthält die Redaktion den LeserInnen bestimmte Informationen vor?

Warum werden zum Beispiel den Bündnis90-Leuten keine kritischen Fragen gestellt? Warum fragt die taz sie nicht, worin denn ihr perspektivisches Denken liegt, was zum Beispiel auch die nächsten Wahlen angeht? Warum stellt niemand die Frage, warum das Bündnis 90 der CDU/FDP-Steuerreform zustimmt, die sich das Geld für den Bundeshaushalt beim unteren Drittel der Bevölkerung holt? Und wer fragt sie nach dem Verhältnis zu Wachstumsmodell und Machtverteilung im Kapitalismus? Müssen wirklich kapitalismuskritische Positionen bei den Grünen aufgegeben werden, weil Ostdeutsche jetzt auch auf dem Marktwirtschaftstrip sind? Sind die Erkenntnisse der kritischen Öffentlichkeit-West der letzten 20 Jahre auf dem Mond gewonnen worden?

Ich hätte noch etliche Fragen mehr an das Bündnis90, nur, ach, die taz stellt diese Fragen nicht. Kritik kommt neuerdings nur noch in Richtung Grüne. [...] Ulrich Ochs, Gelsenkirchen

betr.: „Wenn der grünen Basis der Kamm schwillt“, „Verhandlungen“, taz vom 29.2.92

[...] In dem Artikel über die Kritik von West-Grünen an den zu kompromißlerischen Verhandlungen mit dem Bündnis90 wird die Behauptung aufgestellt, die Grüne Kreistagsfraktion Lippe habe einen Brief an den Bundesvorstand geschickt. Dies ist unrichtig. Der Brief ist unterzeichnet von fünf Fraktionsvorsitzenden aus lippischen Städten und Gemeinden, dem Fraktionsvorsitzenden der Kreistagsfraktion, dem Geschäftsführer der lippischen KreisGrünen und einer Vorstandssprecherin der lippischen Grünen. Suggeriert werden soll durch diese Verkürzung auf eine einzelne Kreistagsfraktion — die in dem Kommentar dann noch zur Ratsfraktion Detmold mutiert — wohl eine Einzelmeinung statt einem tatsächlichen breiten Konsens.

Schlimmer sind aber noch die Unwahrheiten und Unterstellung des taz-Kommentators. Er wirf uns vor, als „Basokraten“ erklärte Gegner des Individualismus und Intellektualismus zu sein. Diese Behauptungen sind unwahr. Richtig ist vielmehr, daß wir keine Gegner des Intellektualismus sind. Abgesehen davon, daß wir — wie viele andere Grüne auch — über entsprechende formal-akademische Grade verfügen, ist es unser Anliegen, neue Dimensionen in die Diskussion Grüne — Bündnis90 zu bringen. [...]

Ebenso ist es falsch, daß wir erklärte Gegner des Individualismus sind. Wir üben unsere Funktionen bei den lippischen Grünen gerade deswegen aus, weil wir uns als Parlamentarier und Individualisten der öffentlichen Rede und dem öffentlichen Vordenken permanent stellen — so auch mit unserem Brief an den Bundesvorstand. Unsere Absicht ist es, vor pseudointellektuellen Stammlern und machtbesessenen Westgrünen, die das Bündnis90 für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen, zu warnen.

Zur ersteren Gruppe gehört offensichtlich auch der taz-Kommentator. Er unterstellt uns durch Zitatstriche, wir hätten behauptet, „immer oppositionell gekämpft“ zu haben als andere noch in ihre Stasi-Windeln geschissen hätten. Diese Zitate stammen nicht von uns. Wenn der Herr Autor noch nicht mal in der Lage ist zu recherchieren, sollte er wenigstens korrekt zitieren.

Unsere Sprache schöpft sich nicht aus Sentimentalität und Ressentiment und beschmeißt andere mit „Fäkalien“. Wir fordern gerade eine rationale und ehrliche Diskussion zwischen WestGrünen und OstGrünen und dem Bündnis90. [...] Christian Kuhnke, Erich Giebe, Evelyn Busse, Lippische Initiative für konsequente Verhandlungen der Grünen mit dem Bündnis90, Detmold

[...] Die Vereinigung der Grünen mit dem Bündnis90 braucht ebensoviel Sensibilität wie die Vereinigung der beiden Staaten — denn es ist eine strukturelle Vereinigung der Gruppierungen, die die Strukturen des Staates kritisieren, aber nicht annähernd über soviel Lobby und Macht verfügen wie unsere Vereinigungsheroen.

Diese Vorsicht und Toleranz ist bei den abgedrehten Grünen nicht zu beobachten, die eine rigorose Übernahme des Bündnis90 fordern: „Kompromißlos“ ist grammatikalisch nicht steigerbar, inhaltlich schon gar nicht. Die Behauptung, das Bündnis90 würde „moralischen Druck“ ausüben, kann eigentlich nur dann wahr sein, wenn den Grünen eben diese Moral fehlt. In diesem Vereinigungs-Hau-Ruck scheint dies vielleicht sogar der Fall zu sein. Sie fordern inhaltliche Diskussion statt Machtpoker, legen aber das Ziel (klares Bekenntnis zu dem, was sie als grüne Position definieren) schon von vornherein fest, schneiden damit also beides ab: Machtpoker (den sie schon gewonnen haben wollen) und inhaltliche Diskussion (die nur noch leeres Blafasel sein kann, wenn die Ergebnisse schon feststehen). Machtpoker bösesten Ausmaßes ist es denn auch, zu behaupten, das Bündnis würde ohne die Grünen nicht überleben — zweifelsohne ist die richtig, aber diese Beziehung ist bilateral, wie man bei den Wahlen Dezember 1990 gesehen hat — eine Partei, die (alt-)bundesweit unter die fünf Prozent fiel, sollte sich nicht anmaßen, eine andere Gruppierung in die eigenen Reihen zu zwingen, das haben CDUSPDFDP schon gemacht.

Dennoch muß zugestanden werden, daß auch die Grünen Forderungen stellen können und dürfen, ohne als Übernahmemacker dastehen zu müssen — Appels Feststellung, man verhandele fair oder gar nicht, ist nur zu bekräftigen, beide Seiten müssen sich uneingeschränkt daran halten. Daran halten sollte sich auch Götz Aly, der mit seinem Kommentar die Politschlammschlacht polemisch weiterführt. [...] So unbestritten verurteilenswert die von ihm zitierten Stellen des Faxes an den Bundesvorstand sind, so frage ich mich dennoch, wo er denn die „Intellektuellenfeindschaft“ hernimmt — und wen er da angegriffen wähnt. [...]

Bestimmt tarnen viel zu viele Grüne ihre Meinungslosigkeit hinter Schlagwörtern wie Prinzipientreue — Aly tarnt sein Unvermögen, über den Horizont der bisher aufgestoßenen Fronten zu kommentieren damit, pauschal alle Menschen, die vor einem zu breiten Spektrum warnen, als Basokraten zu diffamieren. Wie beschreibt er sich denn? Als Artikelokrat? Als tazokrat?

Individualität ist wichtig, insbesondere sollten BürgerInnenbewegte und Linke aus der Ruckzuckvereinigung der BRDDR gelernt haben, nicht aus machtpolitischen Erwägungen über sie hinwegzubügeln. Und es muß endlich gerade dem bürgerInnenbewegten und linken Spektrum dieser polit- und meinungslosen Gesellschaft gelingen, ruhig auch mit einer Uneinheitsmeinung Politik machen zu wollen und zu können. Intern streiten (nicht zanken) und extern Politik machen widerspricht sich nicht, sondern ergänzt sich, kann sich ergänzen, wenn beide Seiten dazu bereit sind — und wenn nicht in Alyscher Manier darüber hergezogen und diffamiert wird. [...] Sebastian Lovens, Duisburg