Grüne wollen Würde ermöglichen: Strukturen für das Sterben
Die Grünen machen sich für einen Ausbau der Hospize stark. Die Krankenkassen hingegen halten einem Platz pro Hunderttausend Einwohner für ausreichend
BEMEN taz | Mark Castens kennt das Sterben: Vergangenes Jahr verlor der 36-jährigen Verwaltungsangestellte aus Ovelgönne beide Elternteile. Castens' Vater starb im Krankenhaus, die Mutter im Waller Sterbehospiz. Die extreme Unterschiedlichkeit dieser beiden Erfahrungen hat Castens zu einem Aktivisten für den Ausbau des Hospizwesens gemacht. Nüchtern stellt er fest: "Im Krankenhaus gibt es keine Kostenstelle für Gespräche."
Gestern war ein guter Tag für Castens. Die Grünen starteten eine Parlamentsinitiative, die dieselbe Stoßrichtung hat wie Castens Bürgerschaftspetition, mit der im Juni für Aufsehen sorgte. Die gemeinsame Kritik: Weil die Krankenkassen nach gesetzlich nicht geregelten Bedarfserhebungen finanzieren, gibt es dramatisch zu wenig Hospizplätze. Intern gehen die Krankenkassen von einem Bedarf von einem Hospizplatz für 100.000 Einwohner aus - so betrachtet wäre Bremen mit den acht vom Waller "Brücke" e. V. vorgehaltenen Plätzen geradezu überversorgt.
Die Praxis zeigt ein anderes Bild: Castens suchte 2010 monatelang für seine Mutter einen Hospizplatz, erst drei Wochen vor ihrem Tod bekam er eine Zusage. Bis dahin musste die an Lungenkrebs leidende Frau zwischen Krankenhaus, Kurzzeitpflege und Zuhause pendeln. "Eine unwürdige Situation", bilanziert Castens.
Teuer ist sie für die Krankenkassen obendrein. Dirk Schmidtmann, altenpolitischer Sprecher der Grünen, beschreibt die ständigen Einweisungen todesnaher Patienten und deren anschließende Entlassung als "Drehtür-Effekt auf dem Rücken Sterbenskranker". Ein stationärer Hospizplatz bietet nicht nur eine würdevolle Umgebung und die Präsenz engagierter ehrenamtlicher Begleiter, er ist mit 250 Euro pro Tag auch vergleichsweise günstig.
2009 baten nach Angaben des Hospiz- und Palliativverbandes Bremen (HPV) 222 PatientInnen um eine Aufnahme ins Waller Hospiz, 99 von ihnen starben sozusagen auf der Warteliste. Weitere Kapazitäten bietet das Klinikum Links der Weser mit acht Betten in der Palliativstation, die allerdings einen deutlich anderen Charakter als ein Hospiz hat. Sie ist ausdrücklich keine Einrichtung der Dauerpflege, die PatientInnen sind dort durchschnittlich lediglich zehn Tage. Anschließend wird immerhin eine ambulante palliative, also schmerzmedizinische Beratung für diejenigen angeboten, deren Pflege im heimischen Umfeld geleistet werden kann. Derzeit sind das rund 150 Personen im Jahr.
In der Wesermarsch, wo Castens wohnt, gibt es nichts dergleichen - mit 93.000 Einwohnern rutscht der Landkreis durch das von den Kassen praktizierte 100.000er-Raster. Auch eine Bürgerinitiative, die sich für die Einrichtung eines Hospizes im Landkreis einsetzte, scheiterte bislang.
Auch im Land Bremen gibt es ganze Bereiche, die komplett von Strukturen zur Sterbebegleitung abgeschnitten sind: Dazu zählen Bremerhaven und Bremen-Nord, wo sich die Ärzteschaft seit einem Jahr mit den Kassen um die Finanzierung ambulanter Palliativleistungen streitet.
Für Schmidtmann ist das ein "unerträglicher Zustand". Er fordert vom Senat ein am demografischen Wandel orientiertes Konzept für die ambulante und stationäre Hospizpflege im Land Bremen, das spätestens sechs Monate nach der erhofften Beschlussfassung durch die Bürgerschaft vorgelegt werden soll.
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