Grüne und Linkspartei fremdeln: Die Mär vom linken Lager
Am Ende des Wahljahrs gibt es neue Koalitionen – nur keine rot-rot-grüne. Das liegt an der tiefen Kluft, die Grüne und Linkspartei trennt: Es fremdelt zwischen Hedonisten und Betriebsräten.
A ngela Merkel wiedergewählt, die Ministerpräsidenten in Sachsen und Schleswig-Holstein ebenso, die Koalitionsverhandlungen in Thüringen und im Saarland abgeschlossen, die Jamaika-Gespräche im Saarland begonnen: Das Superwahljahr, wie 2009 gern genannt wurde, ist vorbei. Es hat die politische Landschaft in Deutschland verändert - aber in vielem anders als ursprünglich angenommen.
Drei schwarz-gelbe Bündnisse wurden geschmiedet, im Bund, in Sachsen und in Schleswig-Holstein. Hinzu gekommen ist eine große Koalition in Thüringen und eine rot-rote in Brandenburg. Sogar die erste Jamaika-Allianz wird es geben, im Saarland, wenn sie nicht an privaten Geschäftsbeziehungen der Partner scheitert.
Nur zwei Kombinationen realisierten sich nicht. Bei der Ampel war das abzusehen. Aber auch Rot-Rot-Grün kam nirgendwo zustande, obwohl über dieses Modell so viel geredet wurde wie über kein anderes. Obwohl Freund und Feind drängten, die SPD solle diese Option endlich eröffnen. Zum eigenen Nutzen, aber auch zu dem der Demokratie. Damit es wieder zwei Lager gäbe und die Möglichkeit eines Wechsels in der Politik.
Bei vier Landtagswahlen hätten die Grünen gemeinsam mit SPD und Linkspartei in den vergangenen zwei Jahren eine Mehrheit gehabt - in Hamburg und in Hessen, in Thüringen und im Saarland. In keinem Fall hat sich diese Mehrheit realisiert. In zwei Fällen zogen es die Grünen vor, mit der CDU zu koalieren. Dafür gab es in jedem Land spezifische Gründe. In der Summe ist eine solche Häufung von Zufällen kein Zufall mehr. Die Rede vom "rot-rot-grünen Lager" erscheint zumindest verfrüht.
Allem Gerede von der quälenden großen Koalition zum Trotz stehen sich CDU und SPD heute unter allen Parteien am nächsten. Der Wirtschaft muss es gut gehen, damit der soziale Ausgleich möglich ist: das ist das Credo beider Volksparteien, mit unterschiedlichem Akzent. Ihr Schrumpfen ist ein Hinweis darauf, dass immer weniger Menschen an diesen Zusammenhang glauben. Die Anhänger der Linkspartei denken nicht mehr, dass sie von einer florierenden Wirtschaft profitieren könnten. Die FDP-Wähler finden den sozialen Ausgleich, wenn nicht überflüssig, so doch fehlgeleitet.
Der interessanteste Fall sind die Grünen. Aus einem postmaterialistischen Impetus sind sie entstanden. Der obsessiven Beschäftigung mit Sozialstaats- und Verteilungsfragen haftet in ihren Augen etwas Kleinbürgerliches an, als ob es nichts Wichtigeres gäbe als Geld. Uns gehts ums Ganze: Dieser Wahlslogan drückte die ganze Verachtung gegenüber Leuten aus, die ihre Wahlentscheidung vom eigenen Geldbeutel abhängig machen.
Man mag eine solche Haltung als im besten Sinne bürgerlich begreifen, man muss sie sich aber erst einmal leisten können. Kaum irgendwo ist die Verachtung bildungsferner Schichten so groß wie im Milieu der grün wählenden Akademiker. "Prollig" galt hier früh als Schimpfwort, der Einkauf bei Aldi schon aus ästhetischen Gründen als indiskutabel. All das bringt die Hedonisten von der Kölner Südstadt bis zum Prenzlauer Berg in einen schroffen Gegensatz zu den Gewerkschaftern und Betriebsräten der Linkspartei, die sie insgeheim als altmodische Spießer verabscheuen. Die geringe Weltgewandtheit, die latente Xenophobie in Teilen des linken Milieus ist ihnen ein Gräuel.
Die Interviewschlacht, die vor den Landtagswahlen in Thüringen und dem Saarland zwischen Grünen und Linken tobte, war deshalb weit mehr als wahltaktisches Scharmützel um ein paar Wählerstimmen. Man muss nur Vertreter beider Parteien in Berliner Hintergrundgesprächen übereinander herziehen hören, um zu begreifen: Hier soll zusammenwachsen, was ganz und gar nicht zusammengehört.
Vordergründig ist Rot-Rot-Grün in Hessen an den SPD-Abweichlern gescheitert, in Thüringen an den rot-roten Rangeleien ums Spitzenpersonal. In beiden Fällen waren die Grünen aber vor allem auf genügend Abstand bedacht, um aus dem rot-roten Debakel unbeschädigt hervorzugehen. Ähnliches gilt für die Linkspartei. Die verwirrenden Ansagen zur Erfurter Ministerpräsidentenfrage waren einer rot-rot-grünen Regierungsbildung so wenig dienlich wie Lafontaines Entschluss, seine Rückkehr ins Saarland anzudrohen. Nicht nur an der grünen Lagerzugehörigkeit sind am Ende dieses Wahljahres die Zweifel gewachsen, sondern auch an der Entschlossenheit der Linken, jenseits der bewährten, SPD-geführten Zweierbündnisse im Osten auch andernorts Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Lieber zu zweit als zu dritt
Lange musste sich die SPD dafür beschimpfen lassen, dass sie zur Linkspartei keine Haltung fand. Am Ende zeigt sich: Es liegt nicht nur an der SPD. Eine entschlossene Wende in der Bündnispolitik allein wird die Macht noch nicht zurückbringen. Sicher ist vorerst nur: Überall dort, wo Zweiparteienbündnisse möglich sind, wird es auch dazu kommen.
Ein Modell, wie so etwas über die klassischen Lagergrenzen hinweg funktionieren kann, bietet die Hamburger Konstellation. Dort haben sich CDU und Grüne die wichtigste Zuständigkeit auf Landesebene, die Bildungspolitik, säuberlich aufgeteilt. Die Grünen haben sich bei der Schulpolitik durchgesetzt und dem Koalitionspartner dafür die Hochschulen überlassen. Angesichts der Streitereien über das Kohlekraftwerk Moorburg ist außerhalb der Landesgrenzen fast untergegangen, welche Revolution die Grünen mit der sechsjährigen Grundschule durchgesetzt haben. Das kann nur ermessen, wer sich die Reformresistenz des deutschen Bildungssystems vor Augen führt. Nicht einmal den Amerikanern war nach dem Krieg mit der Autorität einer Besatzungsmacht Vergleichbares gelungen.
Eine bleibende Veränderung des Wahljahres ist das Ende der Sonderrolle für die CSU. Noch an dem Abend, an dem er den Koalitionsvertrag unterschrieb, gab Parteichef Horst Seehofer den Anspruch auf die absolute Mehrheit in Bayern endgültig auf. Seine historische Leistung bestünde dann darin, die CSU mit ihrer Zukunft als Landesverband der CDU versöhnt zu haben.
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