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Archiv-Artikel

Grotesk und grausam ehrlich

THEATER Am Theater Bremen hat Sebastian Martin mit Sibylle Bergs Sozialgroteske „Hauptsache Arbeit!“ die Saison eröffnet

Das „das-kenn-ich“-Gegicker im Publikum zeigt – so überspitzt ist die Groteske gar nicht.

Als Tierpräparatorin gearbeitet zu haben, ist eine der amüsanten Mini-Mythen, die Sibylle Berg als biografischen Gag über sich verbreitet hat. Bestens passt das zu ihrer Sichtweise des menschlichen Gewimmels im Hamsterrad des Daseins, sodass Sebastian Martin daraus seinen Regieansatz für die erfrischend mutige Saisoneröffnung am Theater Bremen ableitete: Noch vor dem „Tannhäuser“-Getöse am kommenden Sonntag kam Bergs Sozialgroteske „Hauptsache Arbeit!“ heraus.

Martin stopft ihre namenlosen Großraumbüro-Figuren aus, zupft alles an ihnen typengemäß zurecht, addiert zur Grundausstattung noch ein minimales Bewegungsrepertoire, also gestische Ticks und ein, zwei karikierende Mimik-Variationen. Alles bleibt äußerlich: zu Angestellten-Klischees hergerichtete Menschenpuppen. „Die Firma wird betrogen; ihr seid die Betrüger“, so beschimpft die Motivationstrainer-Ratte die Mitarbeiter und aktiviert die Ängste um Job-, also Geld-, Sinn-, Identitäts-, Daseinsberechtigungsverlust. Bitte antreten zu Anpassungsverrenkungen, pflichtschuldigem Kopulieren, zum Mobben und Schaulaufen vor den McKinsey-Ratten. Die Angestellten im Party-Design tun alles, um Angestellte bleiben zu dürfen: erniedrigen sich und andere. Während der Chef (in Kai-Diekmann-Maske) ihnen entgegenhöhnt, „die Möglichkeiten, die neue freie Kapazitäten bieten, mit Freude anzunehmen.“

Sibylle Berg denkt grausam ehrlich, tranchiert die Ideologie von der Realität, entdeckt nackte Verzweiflung, will nun aber nicht der sterbenden Arbeitsgesellschaft Perspektiven eröffnen und jenseits des Fetischs Festanstellung nach befriedigenden, festen Wertsystemen suchen. Sie formuliert lieber mitleidlos die seelenzerstörerischen Nöte entfremdeten Lebens, das in gleichgültiger Erledigung der Jobpflichten erstarrt ist. Jede kleine Trost-Illusion (romantische Liebe) und Glücks-Verheißung (Konsum), jeden Sinn-Schimmer (es gibt ein Leben vor dem Tod) macht Berg in aller Absurdität lächerlich.

Aber wie spielt man das? Schnell, hart, schmerzhaft böse? Oder einfach nur witzig? Sebastian Martin zeigt Ausstellungsstücke einer Comedy-Revue, lässt dabei sehnsuchtsvoll schlagern, nimmt sich Zeit für die jämmerlichsten Party-Späße, inszeniert aber nicht auf die zynisch funkelnden Pointen hin. Die laufen einfach so mit, verpuffen daher oft. Untermalt wird das Geschehen mit traurigen Keyboard-Kläglichkeiten eines Alleinunterhalters. So kommt der Abend nie in Fahrt, dafür vermittelt sich die Feier-Ödnis und Lebens-Langeweile. Also authentisch.

Schauspiel-handwerklich ist der Abend beeindruckend. Und er lebt vom Wiedererkennungseffekt. Das „das-kenn-ich“-Gegicker im Premierenpublikum zeigt: So überspitzt ist sie gar nicht, diese Vernissage präparierten Humankapitals. Lang anhaltender Applaus!