■ Großer Lauschangriff der SPD: Denn sie weiß, was sie tut: Zurück zu Schmidt! Abmarsch!
Rudolf Scharping gilt als Meister des Details. Im Gegensatz zu Engholm liest er die Akten, weiß Bescheid, überrascht durch Sachkompetenz auch bei entlegenen Themen. Man wird also davon ausgehen können, daß Scharping weiß, was er tut, wenn er jetzt den Großen Lauschangriff mit dem Prestige des Parteivorsitzenden durchsetzt. Obwohl er auch weiß, daß bei einer sachlichen Abwägung der Argumente alles gegen den Lauschangriff spricht.
Angeblich soll der Große Lauschangriff notwendig sein, um einen letzten Damm gegen die organisierte Kriminalität, den Griff der Mafia nach der Macht, zu errichten. Wer Kriminelle ernsthaft bekämpfen will, darf natürlich deren Wohnung nicht zum exterritorialen Gebiet für die Polizei machen. Folglich muß das Grundgesetz, das die Intimsphäre der eigenen Wohnung vor staatlichem Zugriff schützt, geändert werden. Wer verdächtig ist, an einer Handlung organisierter Kriminalität beteiligt zu sein, oder aber mit jemandem bekannt ist, der verdächtigt wird, oder aber mit jemandem zu tun hat, der als Bekannter eines Verdächtigen gilt, muß sich also um des Antimafiakampfes willen gefallen lassen, daß seine Wohnung mit allen technisch vorhandenen Mitteln belauscht wird. Schließlich kennt jeder die Bilder aus dem „Paten“, wo die Schurken, am langen Tisch versammelt, die Strategie für den nächsten Coup verabreden.
Rudolf Scharping weiß natürlich, daß dieses romantische Bild der organisierten Kriminalität nicht stimmt. Er weiß natürlich auch, daß Kriminalität im großen Stil, daß Waffenhandel, Rauschgift- und Menschenhandel nicht im Wohnzimmer, sondern in einer Grauzone geschieht, die in aller Regel Kontakte zu staatlichen Stellen einschließt. Der Nährboden organisierter Kriminalität ist Korruption, manchmal eine partielle Interessenübereinstimmung zwischen staatlichen Stellen und Händlern – und eine unsinnige Drogenpolitik. Keines dieser Übel wird mit der Wanze im Schlafzimmer bekämpft.
Daß Scharping seine Partei wider besseres Wissen trotzdem dazu zwingt, grundgesetzlich geschützte Bürgerrechte zu unterlaufen, hat offenbar andere Gründe. Einer heißt: Den Bürger ernst nehmen. Der hat Angst um seine Sicherheit. Tatsächlich kann man nicht so tun, als gäbe es keine Zunahme von Eigentumsdelikten. Nur wird der Große Lauschangriff daran kaum etwas ändern. Da bedürfte es einer grundsätzlich anderen Drogenpolitik, die die Probleme der sogenannten Beschaffungskriminalität wirksam reduziert. Durch einen solchen Vorstoß bekäme Scharping aber massivere Probleme mit der Partei – die kluge ist hier die komplizierte Lösung. Man tut Scharping wohl Unrecht, wenn man ihm unterstellt, er habe sich aus taktischen Gründen, um der Union keine Angriffsfläche zu bieten, zu der Grundgesetzänderung entschlossen. Nein, Scharping knüpft lediglich da an, wo Helmut Schmidt aufhörte: Unter Schmidt wurde das BKA zu einer Monsterbehörde aufgebläht, und unter Schmidt wurden die Gesetze des starken Staates verabschiedet.
Es gibt eine Tradition in der SPD, für die Bürgerrechte nur Sand im Getriebe eines funktionierenden Staatsapparates ist. Mit Scharping kehrt Schmidt an die Spitze dieser SPD zurück. Jürgen Gottschlich
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