piwik no script img

Große Zähmungskraft der Jugendtorheit

Immer mehr Geräte stammen aus China. Und immer mehr Geräte laufen Amok. Zufall? Oder steckt ein System dahinter? Eine Blutspurensuche

Foto: Zeichnung:Ari Plikat

Von Christian Bartel

Meine Heißluftfriteuse wird aus China ferngesteuert“, behauptet Lkw-Fahrer Michi Lembke aus Nürnberg und zeigt auf die veganen Frühlingsrollen. „Eben waren noch leckere Schweinswürstel drin. Pekings Agenten haben sie über das Internet ausgetauscht.“

Bis vor Kurzem hätte die Behauptung des jovialen Junggesellen, der uns gleich das „Du“ anbietet, noch ungläubiges Kopfschütteln ausgelöst, doch seit Oslos Verkehrsbetriebe herausgefunden haben, dass ihre Elektrobusse vom chinesischen Hersteller Yutong aus der Ferne manipuliert werden können, wächst auch unter deutschen Endverbrauchern das Misstrauen gegenüber Elektrogeräten Made in China.

„Deine Mutter …“, wenden wir ein. Eben noch hatte sich die Rentnerin über die ungesunde Ernährung ihres Sohns beklagt und an dem Gerät zu schaffen gemacht, aber Argumentationen, die mit „Deine Mutter“ beginnen, werden in zeitgenössischen Diskursen leider kaum noch ernst genommen.

„Meine Mutter wird auch aus China ferngesteuert“, behauptet Lembke prompt und macht sich über die Frühlingsrollen her, während Frau Lembke einen Fünf-Jahres-Plan verkündet, mit dem ihr Sohn auf gesünderes Asia-Food umgestellt werden soll.

Nürnberg ist kein Einzelfall. In letzter Zeit häufen sich Berichte über rätselhafte Fehlfunktionen chinesischer Elektrogeräte, die man früher womöglich unsachgemäßer Bedienung oder dämonischer Besessenheit zugeordnet hätte. Im münsterländischen Ochtrup soll ein Elektrorollstuhl der Marke „Untergehende Sonne im ehrwürdigen Herbst des Lebens“ die Zimmernachbarin einer achtzigjährigen Altersheimbewohnerin überfahren haben, nachdem sich die beiden Damen über die letzte Puddingschnecke auf dem Kuchenbuffet gestritten hatten.

An einer Hamburger Gesamtschule ruft ein elektronischer Signalgeber seit Wochen nach eigenem Gutdünken den Unterrichtsschluss aus. Der intelligente Schulgong „Große Zähmungskraft der Jugendtorheit“ war angeschafft worden, um den Schulbesuch individuell mit einer Gesichtserkennungs-Software zu überprüfen. Außerdem sollte der I-Gong die mündliche Unterrichtsbeteiligung, das Betragen auf dem Pausenhof und die Social-Media-Accounts der Schüler auswerten, doch jetzt stört er bloß noch den Unterricht und spielt Lieder von Haftbefehl ab.

„Da kann man nix machen. China kontrolliert das Gerät mit einem Killswitch“, grinst Schülersprecher und Digital Native Malte Brückhoven, dann ertönt zum dritten Mal in dieser Unterrichtsstunde der Pausengong.

Auch der zweite Fahrkartenautomat von links in der Eingangshalle des Kölner Hauptbahnhofs wird nach Geheimdiensterkenntnissen von Mächten gesteuert, die den Westen schwächen wollen. Dabei kennt die hybride Kriegsführung keine Gnade: Mal nimmt der Feindautomat keine Scheine, dann wieder keine Münzen. Karten kann der Automat aber auch nicht auslesen. Erkennt er trotzdem mal eine Karte, bucht er das Doppelte des angezeigten Betrags ab und druckt dann das Ticket nicht aus. Die Folge sind Nervenzusammenbrüche, Suizide und Gewaltausbrüche, die sonst nur Tintenstrahldrucker hervorrufen, die bekanntlich alle mit Satan im Bunde sind.

„Dahinter stecken Peking, Moskau oder Pjöngjang“, erklärt eine Bahnsprecherin sichtlich beglückt. „Die kontrollieren auch unsere digitalen Stellwerke, die Zuganzeigen an den Gleisen und die Online-Reservierungen. Da haben wir seit Jahren keinen Zugriff mehr, entschuldigen uns aber für die entstandenen Verspätungen.“

Während in Norwegen, Österreich, Großbritannien und Dänemark die E-Bus­se von Fachleuten auf Sicherheitslücken untersucht wurden, erwägt die Bundesregierung gleich ein grundsätzliches Verbot von Elektromobilität, um kritische Infrastruktur vor Cyberangriffen zu schützen.

„Für den ÖPNV organisieren wir derzeit den Kauf einer ausgemusterten Dieselflotte pakistanischer Überlandbusse aus den Siebzigern“, sagt Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder, gibt sich aber technologieoffen. „Vorstellbar ist auch eine Nutzung von Zukunftsenergien wie Mayonnaise, Zaubertrank oder Atomkraft.“

Zum Glück ist die Digitalisierung in Deutschland so schleppend verlaufen, dass es für Online-Saboteure kaum Einfallstore gibt. „Russland findet ja nicht einmal Ladestationen für seine Drohnen“, sagt IT-Sicherheitsexperte Rüdiger Wembert, der hauptberuflich Faxgeräte verkauft.

Doch auch im digitalen Entwicklungsnachbarland Frankreich, in dem das Internet jeden Abend vom Staatspräsidenten persönlich um 22 Uhr abgeschaltet wird, haben Chinas Geheimdienste ihre Leimruten ausgelegt. Zuletzt wurde die Verkaufsplattform des chinesischen Online-Händlers Shein von französischen Behörden gesperrt, nachdem dort Sexpuppen mit kindlichen Zügen angeboten wurden.

Zum Glück ist die Digitalisierung in Deutschland so schleppend verlaufen, dass es für Online-Saboteure aus China bislang kaum Einfallstore gibt

„Von wegen Sexpuppen!“, widerspricht Wembert. „Die Robo-Kinder werden von den ahnungslosen Rotwein-Boomern als Enkelersatz gekauft, damit sie ihnen den Router einrichten und dreimal in der Woche das Handy-Passwort zurücksetzen, ohne zu maulen.“

Mittlerweile wird Frankreichs gesamte IT von ferngesteuerten Enkelpuppen aus China kontrolliert. Für den Louvre soll der Cyber-Spion „Infantiler Gipfel des Nichts“ schon vor Jahren das kinderleichte Passwort „Louvre“ gewählt haben, während man im Élysée-Palast nur „LaBoum“ in den Rechner tippen muss, um einen französischen Atomschlag auszulösen.

Für Deutschland sieht IT-Experte Wembert keine Gefahr. „Im Gegensatz zu Frankreich herrscht hierzulande Bürokratie und Ordnung. Alle Passwörter von nationaler Bedeutung stehen auf einem gelben Zettel, der im Bundeskanzleramt hinter dem Besenschrank klebt.“

Trotzdem will die Bundesregierung Handlungsfähigkeit beweisen. Die intellektuelle Infrastruktur der Koalition soll noch einmal überprüft und auf einen bombenfest sicher analogen Stand gebracht werden, in dem China noch ein Entwicklungsland und deutsche Technologie innovativ ist. Bundeskanzler Friedrich Merz ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat sich die Festplatte unter der Haarinsel auf das Jahr 1962 zurücksetzen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen