: Große Wahlversprechen von Jelzin und Sjuganow
■ Russischer Wirtschaftsminister warnt vor Zusammenbruch der Staatsfinanzen
Moskau (AP/dpa) – Der russische Wirtschaftsminister Jewgeni Jassin hat am Wochenende vor einem Zusammenbruch der Staatsfinanzen nach der Präsidentenwahl in drei Wochen gewarnt. In einem Schreiben an Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin nannte Jassin die Wahlversprechen von Amtsinhaber Boris Jelzin „absolut unrealistisch“. Es war das erste Mal, daß ein Minister von der offiziellen Linie abrückte, wonach die Staatsfinanzen im Einklang mit den Versprechen Jelzins stünden.
Teile des Briefes wurden am Samstag von der Wirtschaftszeitung Kommersant veröffentlicht. Falls alle Zusagen des Präsidenten eingelöst würden, könnten die Devisenreserven des Landes von 16 Milliarden Dollar auf drei Milliarden Dollar schrumpfen, schrieb Jassin. Die Regierung braucht die ausländischen Währungen aber zur Stützung des Rubels. Jelzin verspricht den Menschen bei seinen Auftritten für die Wahl am 16. Juni Subventionen, Steuererleichterungen und Arbeitsplätze über Regierungsprogramme.
Der kommunistische Herausforderer Gennadij Sjuganow stellte unterdessen die Grundzüge seiner Wirtschaftpolitik vor. Die am Samstag in einer Moskauer Zeitung veröffentlichte Schrift „Das kann man heute tun“ – in Anspielung auf Lenins Frage „Was tun?“ – sieht eine Koexistenz von Privat- und Staatsbesitz vor; die Sicherheit ausländischer Investitionen wird garantiert. Eine Rückkehr zur sowjetischen Planwirtschaft sei nicht vorgesehen.
Sjuganow setzt sich demnach für höhere Subventionen für den Energie-, den Landwirtschafts- und den Verkehrssektor sowie eine Ankurbelung der Leichtindustrie als Motor für die gesamte Wirtschaft ein. Als positives Beispiel werden Chinas Wirtschaftsreformen genannt. Die Preise sollen durch den Staat kontrolliert werden. Die Geldmenge dürfe nicht mehr vom IWF diktiert werden und müsse ausgeweitet werden.
Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Kommunisten konnten die Bedenken von Reformern wie Jegor Gaidar nicht zerstreuen. Gaidar sagte den Zusammenbruch des Aktienmarktes und eine Finanzpanik nach einem Sieg Sjuganows voraus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen