Große Koalition in Kiel : Guter Rat aus Bremen
Lieber Peter – oder darf ich dich Harry nennen? So oder so ähnlich würde der Brief beginnen, mit dem der erfolgreiche Manager der großen Koalition in Bremen, der Sozialdemokrat Henning Scherf, sich einem Christdemokraten nähern würde, der gerade den Wahlkampf gegen die SPD gewonnen hat. Seit 1995 ist Scherf Bürgermeister einer großen Koalition, und in seiner Popularität immer noch weit vor allen anderen, die im Lande Bremen Politik machen. Kaum ein Misserfolg bleibt an der Person Scherf hängen, er überstrahlt alles mit seiner Freundlichkeit. Politische Gegner gibt es da eigentlich nicht, Wahlkämpfe sind ein lästiges Übel. „Keine Angst vor der SPD“, das wäre die wesentliche Botschaft Scherfs an den neuen Kieler Regierungschef.
Zweimal hat Scherf Wahlen überstanden, für ihn stand vorher fest, dass die große Koalition weitergehen müsste, egal wie die Wähler votieren würden. Für die Politik ist diese Regierungsform bequem, in der es keine nennenswerte Opposition gibt, keine Konkurrenz im Regierungsgeschäft. Aber auch das Wahlvolk scheint es zu lieben, wenn einer an der Spitze steht, der sagt, dass alles gut wird.
Als Politiker, würde Scherf dem „Harry“ empfehlen, darf man sich nie so konkret zu einer Sache äußern, dass einem das fünf Jahre später in einer anderen Lage vorgehalten werden kann. Ein Landesvater schwebt über allem. Baute die große Koalition nicht über die Jahre Stück für Stück das ab, was Scherf als Sozial- und als Bildungssenator aufgebaut hatte? Kein Problem. Scherf wird auch nicht als Opportunist gesehen – in seine Reden flicht er gern mal den Hinweis ein, als Juso habe er das natürlich früher auch anders gesehen – und entwaffnet damit seine Kritiker.
Ach ja, und dann ist da noch etwas, über das man eigentlich nicht spricht. In den zehn Jahren hat die große Koalition die „Sanierungshilfe“ unter die Bremer Wirtschaft verteilt. Jedes Jahr der großen Koalition „kostete“ das Land Bremen eine Milliarde Euro: die Steuereinnahmen betrugen drei Milliarden, die Ausgaben vier. Die Sanierungshilfe wurde als Subvention unter die Leute verteilt, Staatsbetriebe wurden verkauft, staatliche Aufgaben an private Firmen vergeben. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist nicht vorangekommen, die Zahl der Arbeitslosen nicht gesunken – das aber stört die Unternehmerschaft nicht: Die Stimmung ist ausgesprochen gut. Scherf pflegt die Anhänger des Koalitionspartners – die eigene Partei hat er in der Tasche. Klaus Wolschner