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Große Koalition gegen das Asylrecht

Bei der ersten Lesung zur Ratifizierung des Schengener Abkommens kamen sich CDU und SPD atmosphärisch näher/ Konsens: Einwanderung hat „nicht verkraftbare“ Dimensionen erreicht  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

In der Sache rückten SPD und Union sich nur wenig näher — aber Ton und Intention der beiden Fraktionsvorsitzenden zielten auf Zusammenarbeit, als der Bundestag am Donnerstag das Ratifizierungsgesetz zum Schengener Abkommen in erster Lesung beriet. Dieses Übereinkommen acht europäischer Staaten über den freien Personen- und Warenverkehr ab 1993 regelt auch asylrechtliche Fragen. Erwartungsgemäß fand in erster Linie eine Asyldebatte statt; die Unionsparteien hatten — anders als der liberale Koalitionspartner — die Zustimmung zu Schengen mit einer Änderung des Asylgrundrechts verknüpft.

Im Vergleich zu den vorhergegangenen Asyldiskussionen blieb der Ton diesmal moderat — das Debakel der Landtagswahlen hat wohl auch die CDU belehrt, daß das unermüdliche Anheizen des Asylthemas sich gegen sie wenden kann. Gleichwohl wiederholten die Unionsredner stereotyp ihr Credo, daß das Grundgesetz geändert werden müsse. Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der das Ratifizierungsgesetz für die Bundesregierung einbrachte, hielt sich denkbar kurz beim Schengener Abkommen selbst auf. Der Hauptteil seiner Rede galt der aus seiner Sicht unumgänglichen Revision des deutschen Asylrechts, ohne die eine europäische Harmonisierung unmöglich sei. Seiters: „Wer ja sagt zu einem Europa ohne Grenzen, muß auch ja sagen zu einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik.“ Der Innenminster erweiterte seine schon bekannte Argumentation, daß die Bundesrepublik bei einer Zustimmung zu Schengen ohne Grundrechtsänderung zum „Reserve-Asylland“ würde: alle Verhandlungen mit den europäischen Partnerländern wären durch den Verfassungsartikel 16 blockiert, die Bundesrepublik sei mit ihrem Recht „in Europa isoliert“.

Als „nicht sehr seriös“ bezeichnete der erste Redner für die SPD, Innenexperte Gerd Wartenberg, diese Argumentation. Er bedauerte, daß das Schengener Abkommen („von der Philosophie her eine grandiose Sache“) mit der Asyldiskussion verknüpft worden sei. Asylrechtlich stelle Schengen keine europäische Harmonisierung dar, sondern regele nur Zuständigkeiten. Für die europäische Diskussion bedürfe es vor allem einer gemeinsamen Interpretation des Flüchtlingsbegriffs durch eine gleiche Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Die „europäische Harmonisierung“ war auch Schlüsselbegriff in der Rede des Unionsfraktionschefs Wolfgang Schäuble. Wer diese „materiell will, muß jetzt in die Grundgesetzänderung eintreten.“ Die „hinkende Teilnahme“ an Schengen (gemeint: unter Beibehaltung von Asylartikel 16) könne er seiner Fraktion nicht empfehlen. Sachlich bot Schäuble nicht Neues. Bemerkenswert war allerdings sein Bemühen, auf die sozialdemokratische Diskussion immerhin atmosphärisch einzugehen: ein — materiell nicht abgestütztes — Bekenntnis zum Individualrecht auf Asyl, milde Zweifel an den Quotenvorschlägen von Klose, der Rat, das Aussiedlerthema nicht mit der Asyldebatte zu verknüpfen. Ein deutlicher Wink an die SPD war schließlich Schäubles Hinweis, daß man in der Koalitionsvereinbarung festgelegt habe, das Staatsangehörigkeitsrecht „gründlich zu reformieren“.

„Die Debatte bietet uns vielleicht die Chance, einen Schritt weiter zu kommen“ eröffnete Hans-Ulrich Klose seine Rede, und setzte dann noch einmal „vielleicht“ nach. Ausgangspunkt für Klose war die These, die inzwischen Konsens der beiden Volksparteien ist: daß nämlich die Zuwanderung eine Größenordnung erreicht habe, „die nicht mehr verkraftbar sei. Asylbewerber, Aussiedler, Familienzusammenführung, legale Gastarbeiter, Illegale — insgesamt dürften wir uns in diesem Jahr der Einmillion-Grenze nähern, das ist zuviel.“ Klose verlangte erneut eine „vernünftige Steuerung dieser Zuwanderung“, wie er sie bereits Anfang April, kurz nach den Landtagswahlen, gefordert hatte. Danach sollen differenzierte Regelungen für die verschiedenen Flüchtlingsgruppen geschaffen werden. Die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sollen ohne großen Aufwand befristete Aufenthaltsgenehmigungen erhalten, die mit Ende der jeweiligen Kriegssituation auslaufen. Für die „Wirtschafts- und Elendsflüchlinge, zu denen...auch die Aussiedler gehören“, schlug Klose eine quotierte Zuwanderungsregelung vor — „am besten auf europäischer Ebene“. Bei der dritten Gruppe, den politisch Verfolgten, erinnerte Klose an den historischen Hintergrund des Verfassungsrechts. „Und eben deshalb sage ich für meine Fraktion ganz deutlich: Das Individualrecht auf Asyl wollen wir nicht antasten.“

Für die in den letzten Wochen mehrfach signalisierte Zustimmung der SPD zu einer Grundrechtsänderung nach einer europäischen Harmonisierung formulierte Klose Bedingungen. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, die im Prinzip ausreichende Rechtsgrundlagen böten, würden „auch von den EG-Ländern unterschiedlich interpretiert. Hier gibt es Klärungsbedarf.“ Wie das niederländische Parlament verlangt auch die SPD, „die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs um die im Schengener Abkommen geregelte Materie zu erweitern“. Klose: „Individuelle Prüfung und mindestens eine gerichtliche oder gerichtsähnliche Instanz müssen gewährleistet sein.“ Der SPD- Fraktionsvorsitzende schloß mit einem allgemeinen Bekenntnis zur verantwortungsvollen Mitwirkung seiner Partei.

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