Großbritannien: Regieren ohne Höhepunkte
Gordon Brown vermeidet in seiner ersten Rede als britischer Premier auf dem Labour-Parteitag Aussagen zu allen Streitthemen. Dass er an der Macht ist, genügt ihm.
BERLIN taz Zehn Jahre hatten Labour-Parteitage in Großbritannien zwei bewährte Höhepunkte: die Rede des Premierministers und die des Finanzministers. Wenn Finanzminister Gordon Brown ans Rednerpult trat, wurden seine Worte immer mit der Lupe nach Anzeichen einer Spaltung zwischen ihm selbst und Premierminister Tony Blair abgesucht, und wenn Tony Blair sprach, galt die Exegese des Redetextes hinterher auch immer der Frage, wie deutlich der Chef seinen ewigen Rivalen wieder einmal in die Ecke gestellt hatte. Jetzt ist Blair Geschichte, Brown ist selber Premier, und seine Parteitagsrede ist die einzige von Bedeutung.
Wohl deswegen suchten Analysten und Kommentatoren vergeblich nach Spannung in der Antrittsrede des neuen Premiers Brown am Montagnachmittag auf dem Labour-Parteitag im südenglischen Badeort Bournemouth. Sie fanden vor allem das, was nicht vorkam. Keine Angriffe auf die konservative Opposition. Keine Ankündigung vorgezogener Neuwahlen. Kein Versprechen einer Volksabstimmung über den neuen EU-Verfassungsvertrag. Keine Worte zur zukünftigen Strategie in Irak und Afghanistan. Nichts also zu all den Themen, die die britische Politik derzeit bewegen.
Vielleicht waren die Erwartungen zu hochgeschraubt. Als Gordon Brown Ende Juni Tony Blair als Premier ablöste, ging die Öffentlichkeit davon aus, dass ein abgenutzter Exfinanzminister es schwer haben würde, gegen einen jungdynamischen Oppositionsführer wie David Cameron von den Konservativen. Aber dann wurde der Sommer 2007 ein Sommer der unerwarteten Krisen: Vereitelte Terroranschläge in London und Glasgow, Maul- und Klauenseuche in Südengland, eine Bankenkrise im Nordosten. Brown musste nicht regieren, sondern nur reagieren. Das kann er gut - er ist die ideale Verkörperung des unaufgeregten, unprätentiösen und unerschütterlichen Arbeitstiers, durch nichts aus der Ruhe zu bringen und intellektuell immer auf der Höhe. Cameron, der der Sprunghaftigkeit und dem Charisma des jungen Blair nachgeeifert hatte, sah plötzlich deplatziert aus: ein Premier für sonnige Zeiten vielleicht, aber kein weiser und umsichtiger Staatenlenker.
Das Ergebnis, komplett überraschend für Großbritannien: Brown führte die regierende Labour-Partei in einen stabilen Vorsprung vor den Tories. Plötzlich war die britische Politik wieder dort angelangt, wo Blair sie bis kurz vor seinem Sturz gehalten hatte: mit einer klar dominanten Labour-Regierung und einer ratlosen Opposition.
Aber wer dachte, Brown würde darauf blitzschnell reagieren und vorgezogene Neuwahlen vielleicht schon für Ende Oktober ausrufen, um sich eine stabile Mehrheit zu holen und die Konservativen durch einen erneuten Labour-Wahlsieg endgültig in den Wahnsinn zu treiben, muss noch eine Weile warten. Blitzschnell reagieren ist Browns Sache nicht. Theoretisch könnte er nächste Woche, wenn die Konservativen ihren Parteitag abhalten, ihnen mit einer Parlamentsauflösung die Schau stehlen. Aber das würde irgendwie unfair und hinterrücks aussehen, ein Zeichen dafür, dass Brown meint, er müsse jetzt schnell noch Wahlen gewinnen, bevor er doch so unbeliebt wird, wie er es eigentlich verdient. Auf Fragen nach vorgezogenen Neuwahlen antwortet Brown stereotyp mit einem als Dementi auslegbaren Hinweis: "Ich kümmere mich um die anstehende Arbeit."
Ganz untergegangen ist mit den Neuwahlspekulationen der Umstand, dass Brown sein Kabinett stärker dominiert, als es Blair in zehn Jahren Regierungszeit je tat. Kurz vor dem Parteitag wurde bekannt, Brown habe durchgesetzt, ein eigenes Diensthandy zu bekommen; das hatten britische Premiers aus Sicherheitsgründen bisher nicht. Jetzt kann er schon im Morgengrauen seine Berater und Kollegen aus dem Bett klingeln oder per SMS Vorlagen anfordern - Brown ist ein notorischer Frühaufsteher. Kein Minister hat Statur neben ihm, und auf Blairs schummriges Umfeld aus PR-Beratern und Hinterzimmerstrategen verzichtet Brown gänzlich. Er regiert selbst, und seine gelegentliche Unbeholfenheit darin macht ihn um so glaubwürdiger. Das Schönste daran, Premierminister zu sein, besteht für Gordon Brown darin, dass neben ihm kein Finanzminister Gordon Brown sitzt, der sich permanent ärgert, dass ihm jemand den Chefposten vor der Nase weggeschnappt hat.
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