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Grobkörnig demokratisiert

Das „Grainy Days 16mm Festival“ in Hamburg feiert das besondere Filmformat. Das prägte seit 1923 die Filmkultur von Avantgarde bis Dokumentarfilm, weil es erschwinglich und beweglicher war

15 Minuten lang berühmt: Für seine „Screen Tests“ filmte Andy Warhol zwischen 1964 und 1966 rund 500 Menschen mit der 16mm-Kamera Foto: Kinemathek Hamburg

Von Wilfried Hippen

Das Bild ist körnig und die Schärfe muss manchmal während der Projektion nachgestellt werden. Der Ton rauscht oft ein wenig und kommt von kleinen Lautsprechern. Die Leinwand ist entweder so groß wie ein Bettlaken oder das Filmbild wird einfach auf eine weiße Wand geworfen. Der Projektor wurde irgendwo im Raum aufgebaut und im Hintergrund hört man leise seine Laufgeräusche.

So wurden einst Filme im 16-mm-Format gesehen. Diese Kinoerfahrungen aus Klassenzimmern, Filmclubs, Gemeindesälen und Hobbykellern prägten viele, die mit dem analogen Kino aufwuchsen. Dabei hatte das 16-mm-Format keine Aura wie der Super 8-Film, der auf vielen Festivals und in großen Spielfilmen wie „Super 8“ gefeiert wird. 16mm ist kein Mythos, sondern auf den ersten Blick nicht viel mehr als eine Industrienorm. Und so wird erst jetzt mit dem „Grainy Days 16mm Festival“ von Donnerstag bis Sonntag im Hamburger Metropolis-Kino das erste Filmfestival zu diesem Format in Deutschland überhaupt veranstaltet.

Dessen Programm macht deutlich, wie einschneidend das Format seit seiner Einführung im Jahr 1923 die Film- und Kinokultur beeinflusst hat. Filme wurden dank der Verkleinerung der Filmstreifen von 35mm auf 16mm billiger und dadurch demokratischer – sowohl bei der Herstellung als auch in der Verbreitung, also bei den Kameras und den Projektoren. Das Filmemachen war nicht mehr das Monopol von Studios, die sich als einzige die großen Kameras und das teure Filmmaterial leisten konnten. Filmkopien konnten billiger hergestellt und überall dort gezeigt werden, wo es Platz für die viel kleineren Projektoren gab.

So entstanden viele Nischen, in denen eine neue, vielfältige und wilde Filmkultur sprießen konnte. „Nische“ ist dann auch eines der Lieblingsworte des Kuratoren des Festivals Thorsten Wagner, der selber eine große Sammlung von 16mm-Filmen hat. In solchen Nischen konnten etwa die Avantgardefilme von Kenneth Anger, Jonas Mekas und Andy Warhol entstehen.

Nicht so bekannt wie diese Künstler­ikonen der 1960er ist Maya Deren, die in den 1940er und 1950er Jahren mit ihren 16mm-Filmen die Avantgarde vor dieser Avantgarde war. Wagner würdigt sie mit einer Werkschau mit dem schönen Titel „for what Hollywood spends on lipstick“ (25. 7., 17 Uhr).

Ein anderer Filmkünstler, der dank 16mm in Hollywood seine Filme kompromisslos nach seinen eigenen Visionen inszenieren konnte, war John Cassavetes. Von ihm hat Wagner „Faces“ von 1968 ins Programm genommen (26. 7. 20.45 Uhr), bei dem übrigens Steven Spielberg als unbezahlter Laufbursche mitarbeitete. Der Klassiker des amerikanischen Independent-Films wird in Kinos wie dem Metropolis immer mal wieder in verschiedenen Kontexten gezeigt. Doch diesmal wird eben eine 16mm-Kopie von ihm projiziert. Das Bild wird also nicht so scharf, der Ton nicht so brillant und das Filmmaterial nicht so unverbraucht sein wie bei den sorgfältig restaurierten Digitalfassungen, an die man sich bei den Vorführungen von alten Filmen inzwischen gewöhnt hat.

Grainy Days – 16mm-Festival: Do, 24. 7, bis So, 27. 7., Metropolis-Kino, Hamburg; Infos und Programm: t1p.de/x0gss, metropoliskino.de

Auch der Dokumentarfilm, wie wir ihn heute kennen, wurde erst durch die 16mm-Kameras möglich, denn nur mit ihnen konnten die Kameraleute nach draußen gehen, um dort beweglich und spontan die Wirklichkeit in ihren Bildern einzufangen. Für das Kurzfilmprogramm „Die Star Maschine“ (24. 7., 21 Uhr) hat Wagner drei dokumentarische Filme über Pop-Stars aus den 1960er- und 1970er-Jahren ausgewählt. Darunter „Das Tor zum Garten der Träume“, für den Rolf Schübel mit der Kamera zwei junge Mädchen aus Oberhausen bei einem Tag mit ihrem Idol, dem Schlagersänger Bernd Clüver, begleitet hat.

Für den Einsatz in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen wurden in der Nachkriegszeit fleißig 16mm-Lehrfilme über Gott und die Welt produziert, die dann in den Landesbildstellen ausgeliehen werden konnten. Besonders obskur und unfreiwillig komisch wirken davon heute die Kurzfilme in dem Programm „Totgekifft“ (26. 7. 16 Uhr), in denen der Drogenmissbrauch zum Teil mit reißerischen Mitteln verteufelt wurde.

Aufgeklärt wurde auf 16mm auch über Sexualität, und der ironisch verschrobene Titel des entsprechenden Kurzfilmprogramms (25. 7. 19.30 Uhr) „In Utero: Vorstellungen von Weiblichkeit zwischen Biologie und Gesellschaft“ lässt schon erahnen, dass hier auch eine Leerstelle im Programm des Festivals kaschiert werden soll: Denn ein wichtiger Teil der Geschichte des 16mm-Films war die Pornografie. Das Unterhaltungsmedium, mit dem die sogenannte „adult film industry“ ihre größten Profite machte, waren vor der VHS-Ära die 16mm-Filmrollen.

Die 16mm-Kopie des Hollywood-Musicalfilms „Dames“ von 1934 ist so zersetzt, dass sie kaum noch vorzuführen ist.Jetzt wird sie zum letzten Mal projiziert

Obwohl heute fast alle Filme digital gedreht werden, gibt es in einer Nische der Filmkunst noch Raum für analoge Produktionen auf 16mm-Filmmaterial. Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische Arthouse-Film „Classical Period“ (27. 7. 16.30 Uhr) von Ted Fendt aus dem Jahr 2018.

Auf einer anderen Ebene ist 16mm jedoch ein sterbendes Medium: Die Filmkopien halten nicht ewig und in den Archiven fallen sie dem „Essigsyndrom“ zum Opfer. Und so wird bei der Abschlussveranstaltung des Festivals mit dem Titel „Sweet 16 Going, going, gone – über die Vergänglichkeit des Materials“ (27. 7., 19 Uhr) ein Film zu Grabe getragen: Die 16mm-Kopie des Hollywood-Musicalfilms „Dames“ von 1934 der Kinemathek Hamburg ist inzwischen so zersetzt, dass sie kaum noch vorzuführen ist. Aber wenn sie jetzt zum letzten Mal projiziert wird, gilt dabei die alte dramaturgische Regel „je schlimmer desto besser“.

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