Griechenland stimmt für Sparpaket: "Wahl zwischen Messer und Pistole"
Im griechischen Parlament verabschieden die Abgeordneten den Beschluss, 78 Milliarden Euro einzusparen. Dem Volk gefällt das nicht. Es tobt draußen.
ATHEN taz/afp/dpa | Es ist vollbracht: 155 der insgesamt 300 Abgeordneten stimmten für das umstrittene Sparprogramm der Regierung Papandreou, das Lohn- und Ausgabenkürzungen sowie Privatisierungseinnahmen in Gesamthöhe von 78 Milliarden Euro für die Jahre 2012 bis 2015 vorsieht. Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen erfüllt für die Auszahlung der nächsten Kredittranche von EU und IWF in Höhe von 12 Milliarden Euro.
Ministerpräsident Giorgos Papandreou setzte alles daran, die eigenen Reihen zu schließen, und hatte fast hundertprozentigen Erfolg damit: Die meisten Bedenkenträger ließen sich doch noch umstimmen und votierten für die Sparmaßnahmen.
Nur der in Griechenland hoch angesehene Abgeordnete Panagiotis Kourouplis blieb bei seiner Weigerungshaltung und wurde nach der Abstimmung prompt aus der sozialistischen Fraktion ausgeschlossen. Papandreou erklärte, Griechenland müsse die Wahl treffen zwischen einem schwierigen Weg und der Katastrophe.
Das leuchtet auch der ehemaligen EU-Kommissarin Vasso Papandreou ein, mit dem Premier nicht verwandt oder verschwägert, die ursprünglich gegen die Sparmaßnahmen stimmen wollte. "Ich habe die Wahl zwischen Messer und Pistole", erklärte sie. "Da muss ich mich halt für das Messer entscheiden."
Konservative stimmte für Sparpaket
Unerwartete Hilfe für Papandreou kam aus dem konservativen Lager: Die wirtschaftsliberale Abgeordnete Elsa Papadimitriou stellte sich gegen die offizielle Parteilinie und muss nun mit einem Disziplinarverfahren bei der konservativen Nea Dimokratia rechnen, weil sie für das umstrittene Sparpaket stimmte.
Ansonsten bleiben die Konservativen bei ihrem "Nein" zum Sparpaket. In einer Geste des guten Willens will sich Oppositionsführer Antonis Samaras dennoch mit Einzelmaßnahmen des Pakets einverstanden erklären, aber erst am Donnerstag, wenn über das sogenannte Vollzugsgesetz zum Sparpaket abgestimmt wird. Aus verfassungsrechtlichen Gründen bedarf es nämlich einer weiteren Gesetzesvorlage, bevor die Sparmaßnahmen in Kraft treten, aber die größte Hürde hat Papandreou nun genommen.
Doch zu welchem Preis: Während die Volksvertreter debattierten, kam es am Verfassungsplatz direkt vor dem Parlament zu Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und der Polizei. Hunderte wurden verletzt, die meisten aber nur leicht. Weitere 300 Verletzte gab es bei Straßenschlachten in der Nacht zum Mittwoch. Es kam zu schwerem Einsatz von Tränengas und Blendgranaten, als vermummte Demonstranten versuchten, das Finanzministerium zu stürmen.
Auch auf Journalisten ist die Menge mittlerweile nicht so gut zu sprechen. Nach griechischen Presseberichten griffen Demonstranten einen Kameramann des US-Senders CNN vor dem Parlament an.
Fast ein Monatsgehalt im Schnitt gestrichen
Doch das Sparpaket ist durch. So kommen auf die Steuerzahler Lasten in Gesamthöhe von über 20 Milliarden Euro zu, jede griechische Familie muss im Durchschnitt auf mindestens zehn Prozent ihres gesamten Jahreseinkommens verzichten. Mit anderen Worten: Fast ein Monatsgehalt wird gestrichen.
Die EU hat die Zustimmung des Parlaments begrüßt. Nötig sei nun noch ein "Ja" der Abgeordneten zu dem Ausführungsgesetz des Sparprogramms am Donnerstag, teilten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch in Brüssel mit. Laut Van Rompuy und Barroso entfernte sich Griechenland mit dem Parlamentsvotum von dem Katastrophenszenario einer Staatspleite.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Zustimmung des griechischen Parlaments begrüßt. Das Ergebnis des Parlamentsvotums sei "eine wirklich gute Nachricht", ließ die Kanzlerin am Mittwoch über ihren Sprecher Steffen Seibert im Kurznachrichtendienst Twitter mitteilen.
Auch Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) würdigte die Abstimmung: "Der Beschluss ist ein Lichtblick, nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa." Mit dem Parlamentsvotum seien "weitere strukturelle Veränderungen auf den Weg gebracht" worden, erklärte Rösler.
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