Grenzregime im Mittelmeer: Deutschland hilft bei Abschottung
Italiens Küstenwache findet ein Boot voller Flüchtlinge und schickt diese nach Libyen. Die Grenzwächter spürten das Schiff offenbar mit Hilfe deutscher Bundespolizisten auf.
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BERLIN taz | Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat der deutschen Bundesregierung die "Beihilfe zu einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung" vorgeworfen. Nach Angaben der maltesischen Tageszeitung Malta Today hat die italienische Küstenwache Mitte Juni ein Schiff mit 74 Flüchtlingen aufgegriffen und an ein libysches Patrouillenboot übergeben.
Auch die deutsche Bundespolizei soll indirekt an dem Einsatz beteiligt gewesen sein. So habe die Besatzung eines deutschen Hubschraubers Informationen über das Boot an die italienische Küstenwache übergeben. Die Bundespolizei ist im Rahmen einer Operation der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf Malta eingesetzt.
Pro Asyl und Amnesty International fordern die Bundesregierung auf, die deutsche Beteilung an diesem Vorfall "unverzüglich aufzuklären". "Das Mittelmeer ist kein rechtsfreier Raum", sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte auf Anfrage der taz, die Hubschrauberbesatzung der Bundespolizei habe die Information über das Boot an die Frontex-Einsatzzentrale auf Malta "zuständigkeitshalber" weitergegeben. Das Bundesinnenministerium bestreitet zwar nicht die Tatsache, dass die Bootsflüchtlinge von der italienischen Küstenwache an libysche Sicherheitskräfte übergeben wurden. Allerdings sei dies entgegen der Darstellung der Zeitung Malta Today nicht im Rahmen der Frontex-Operation geschehen. Nach Informationen des Bundesinnenministeriums befanden sich nur 30 bis 40 Menschen an Bord.
In Libyen besteht nun die Gefahr, dass die Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit festgehalten werden. "Es gibt dort Einrichtungen, in denen Flüchtlinge jahrelang willkürlich und unter desaströsen Bedingungen inhaftiert werden", sagte Wiebke Hennig von Amnesty International. Eine Rückführung der Boote nach Li-byen sei auch deshalb nicht zu rechtfertigen, weil das Land die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet habe.
Zudem hätten Bootsflüchtlinge das Recht auf ein Asylverfahren in Europa, sagte der Rechtsanwalt Reinhard Marx. Dieses Recht ergebe sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und Urteilen des Europäischen Gerichtshofes.
In einem gemeinsamen Positionspapier fordern unter anderem Pro Asyl, Amnesty International, Caritas und Diakonie, das Rote Kreuz und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine grundsätzliche Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik. Die EU-Mitgliedsstaaten an den Außengrenzen würden mit dem Problem alleingelassen und verfolgten deshalb eine rigide Grenzpolitik wie im aktuellen Fall bei Malta. Die anderen Staaten müssten deshalb mehr Verantwortung übernehmen, auch finanziell.
Die Anerkennung von Asylanträgen sollte zudem EU-weit einheitlich geregelt werden, forderte Hennig von Amnesty. Im vergangenen Jahr habe in Griechenland kein einziger Iraker Asyl bekommen, in Deutschland seien hingegen 83 Prozent der Anträge von Irakern bewilligt worden.
KARIN SCHÄDLER
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