: Greifswalder Frauenklinikchef gegen „unmotivierten“ Abbruch
erlin (taz) — Des Guten zuviel, meint der Chef der Greifswalder Frauenklinik, Prof. Göretzlehner, sei die bisherige Anwendung der Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen in der DDR. Allein in seiner Klinik seien in den letzten zehn Jahren von rund 8.000 Schwangerschaftsabbrüchen nur 10 Prozent auf Grund medizinischer oder krimineller Indikationen vorgenommen worden. Allein diese Indikationen seien für ihn ab 3. Oktober akzeptabel. Er mache von seinem Recht Gebrauch, sich auch als Arzt frei gegen die Fristenlösung entscheiden zu können. 20 seiner 23 Kollegen würden hinter ihm stehen. Die Frauen, die einen Abbruch außerhalb der genannten Indikationen wünschen, sollten sich einen Arzt suchen, der dazu bereit ist. Auf die Greifswalder Klinik sind die Frauen in den Landgebieten und Städten Greifswald, Grimmen, Demmin und Wolgast angewiesen. Viele von ihnen reagierten mit Empörung auf die Entscheidung des Klinikdirektors, von der sie lediglich aus der 'Ostseezeitung‘ erfahren hatten. Eine Vertreterin des Unabhängigen Frauenverbandes sprach vom Willkürakt eines Arztes, der vor der Wende linientreu auch in Sachen Abbruch war und sich nun aus seiner sozialen Verantwortung stiehlt. In dieser Hinsicht überbiete Göretzlehner sogar den Paragraphen 218 an Unzumutbarem, denn dort ist die Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch für Frauen in sozialer Notlage aufgeführt. Es sei auch nicht auszuschließen, daß sich manche der Klinikärzte in der Angst um den Arbeitsplatz der Entscheidung ihres Chefs gebeugt haben. Göretzlehner fühle sich nach eigener Aussage auch nicht für Kurpfuscherei verantwortlich, der bei wachsenden sozialen Spannungen — getreu dem bundesdeutschem „Vorbild“ — auch Frauen in der DDR zum Opfer fallen würden, wenn weitere Ärzte den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr wie bisher ausführen wollen. Die Fristenlösung war bisher sehr großzügig angewandt worden. Frauen wurde die Entscheidung gegen ein Kind zu leicht gemacht oder von manchen ÄrztInnen mit ihren Zweifeln allein gelassen.
Doch eine Ad-hoc-Entscheidung wie in Greifswald kann diese Probleme nicht lösen.
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