Gregor Gysi über Gauck und Rot-Rot-Grün: "Ich will nicht als Sozi sterben"
Seit dem Rückzug von Oskar Lafontaine ist Gysi der starke Mann der Linken. Er erklärt, warum Joachim Gauck nicht wählbar ist und Linkspartei und SPD nie wieder eine Partei werden können.
taz: Herr Gysi, warum wählt die Linkspartei Herrn Gauck nicht zum Bundespräsidenten?
Gregor Gysi: Weil er Haltungen einnimmt, die wir nicht teilen. Er war für den Irakkrieg. Er ist für den Afghanistankrieg. Und er lehnt die Einheit von politischer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ab. Er will den sogenannten Fürsorgestaat nicht. Meine Schlussfolgerung aus DDR und Bundesrepublik lautet, dass wir politische und soziale Freiheit nicht mehr trennen dürfen. Gauck sieht das anders. Für eine Partei, die vorwiegend sozial ausgerichtet ist, ist das schwerwiegend.
Christian Wulff ist noch konservativer.
Den würde ich auch nicht wählen.
Aber wäre es nicht geschickt, trotzdem Gauck zu wählen? Damit würde die Linkspartei zeigen, dass sie ein distanziertes Verhältnis zur DDR hat. Und sie könnte die Merkel-Regierung in Verlegenheit bringen. Warum lassen Sie sich das entgehen?
Wenn SPD und Grüne mit uns zusammen etwas machen wollen, können sie uns nicht behandeln wie den letzten Dreck. Sie müssen zumindest mit uns reden. Haben sie aber nicht. Sie haben nicht versucht, uns für Gauck zu gewinnen oder sich mit uns auf jemand anders zu einigen. Sie haben einfach gesagt: Rennt uns hinterher! So lassen wir uns nicht behandeln.
Aber so versäumen Sie, Distanz zur DDR zu zeigen.
Ach, die Idee, das wäre ein Befreiungsschlag für uns, ist eine völlige Illusion. Wenn wir Gauck aus diesem Grund wählen würden, dann hieße es überall: Das machen sie nur, um uns zu täuschen. Das kenne ich seit 1990. Wir waren oft eher zu weich. Zu viel Versöhnlichkeit bringt nichts. Nur Stärke bringt etwas.
Der 62jährige ist Rechtsanwalt und Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Seit dem Herbst 2009, als sich sein Kovorsitzender Oskar Lafontaine zurückzog, ist Gysi alleiniger Fraktionschef der Linken im Bundestag.
2011 wird u. a. in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Die Linkspartei hofft auf neue Regierungsbeteiligungen in Magdeburg und Schwerin.
In Sachen-Anhalt tritt der 46-jähriger Wulf Gallert an, der am Samstag in Magdeburg als Ministerpräsidentenkandidat gekürt wurde. Gallert will, wenn die Linkspartei im März 2011 vor der SPD liegt, auch Regierungschef werden.
Die SPD will dies offenbar nicht. Die sechs Chefs der Linksparteifraktionen in den östlichen Ländern veröffentlichten am Samstag zudem ein Plädoyer für Rot-Rot-Grün im Bund. Nur im Bund sei es möglich, eine "grundlegende Steuerreform" durchzusetzen und den handlungsfähigen Staat zu sichern.
Daher will die Linkspartei, so das Papier, "auch den Wechsel im Bund schnellstmöglich erreichen". Unterzeichner sind u. a. Kerstin Kaiser, Udo Wolf und Dietmar Bartsch. SR
Sie verpassen also aus Trotz die Chance, Schwarz-Gelb in Schwierigkeiten zu bringen?
Die Regierung ins Wackeln zu bringen ist ungeheuer reizvoll. Aber die Medien träumen doch nur, dass es drei Wahlgänge geben wird. Das wird nicht passieren. Westerwelle wird den abtrünnigen FDPlern sagen: Wenn ihr die Regierung stürzen wollt, wählt Gauck. Wenn nicht, wählt Wulff. Da werden den Ost-FDPlern die Händchen zittern, dann machen sie das Kreuz bei Wulff. Die ganze Aktion ist Zirkus.
Wird die Fraktion wenigstens mit Gauck reden?
Wir entscheiden am Dienstag, ob wir Wulff und ihn einladen.
Was wollen Sie?
Ich bin dafür. Gauck hat ja über die Medien angeboten, zu uns zu kommen. Er hätte uns auch einfach anrufen können, aber das ist offenbar nicht mehr üblich. Mal sehen, ob die Fraktion mir folgt. Wenn beide kommen, ginge das nur am 29. Juni, einen Tag vor der Wahl.
Die Linke Ulla Jelpke hat neulich die Exauslandsagenten der Stasi in einer Grußbotschaft als "mutige Friedenskämpfer" gelobt. Es entsteht der Eindruck: Die Linkspartei wählt Gauck nicht, weil sie mental noch immer mit Stasirentnern verbandelt ist.
Der Eindruck ist falsch. Wir haben im Bundestag für Joachim Gauck als Bundesbeauftragten gestimmt. Dann hat er den schwerwiegenden Fehler begangen, Nazidiktatur und SED-Regime fast gleichzusetzen. Deshalb haben wir ihn für die zweite Amtszeit nicht mehr gewählt. Und deshalb ist er für uns auch heute nicht wählbar. Außerdem haben wir ja eine absolut geniale Kandidatin.
Aber der Eindruck mangelnder Distanz zur DDR bleibt.
Das kann ich nicht verhindern. Wenn wir Gauck wählen, muss ich in der Partei erklären, warum wir einen Kriegsbefürworter wählen. Selbst wenn mir das gelänge, würden die Medien schreiben, das sei alles nicht glaubwürdig. Und es würde auch nichts daran ändern, dass Ulla Jelpke diesen Brief geschrieben hat. Es ändert auch nichts daran, dass wir ehemalige IM in Parlamenten haben. So löst man die Probleme nicht. Wir müssen bei einer differenzierten Aufarbeitung der DDR-Geschichte bleiben.
Wie lange wird das Thema DDR noch wie ein Bleigewicht an der Linkspartei hängen?
Schwer einzuschätzen. Ich will auch nicht, dass wir eine geschichtslose Partei werden. Aber: Von den zehn Leuten, die wir auf dem Rostocker Parteitag direkt in Führungspositionen gewählt haben, waren fünf früher Sozialdemokraten, zwei in der SED, drei nur in der Linkspartei. Für viele ist die DDR nicht mehr das bestimmende Thema. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen.
Sie sagen: Allein Stärke zählt, Versöhnlichkeit nicht. Möchten Sie auf ewig mit Ulla Jelpke Opposition machen?
Das ist eine völlige Fehleinschätzung der angeblich so radikalen Leute in unserer Partei. Wenn wir je Koalitionsverhandlungen machen, würde ich die alle in Verhandlungskommissionen schicken. Und dann würde ich wohl eher sagen müssen: Ach, da seid ihr den anderen aber zu weit entgegengekommen. So läuft das. Unsere Genossinnen und Genossen in NRW haben angeboten, Hannelore Kraft ohne Bedingung zu wählen. Das hätte ich mich ja nicht einmal im Schlaf getraut.
Wenn die SPD nun Neuwahlen will - soll die NRW-Linke da mitmachen?
Nein, unsere Stimmen sollten sie nicht kriegen. Unsere Bevölkerung hat nur das Recht, ein Parlament zu wählen. Dieses hat eine Regierung zu wählen. Man kann nicht so oft wählen, bis einem die Zusammensetzung passt.
Verstehen Sie die Strategie der SPD in NRW noch?
Ein bisschen schon, obwohl sie unverantwortlicherweise CDU und FDP aus NRW dadurch die Möglichkeit gibt, im Bundesrat dem indiskutablen Sparpaket zuzustimmen. Sie wollen Neuwahlen erzwingen und hoffen dann eine eigene Mehrheit zu bekommen. So was kann bekanntlich sehr schiefgehen.
Haben die Reformkräfte in der Linkspartei nicht die Verantwortung - auch gegen vernagelte Sozialdemokraten - alles Mögliche zu tun, um das schwarz-gelbe Chaos so schnell wie möglich abzulösen?
Das scheitert nicht an uns. Es gibt ja auch rot-rot-grüne Gesprächskreise, die versuchen, die Kultur des Umgangs zu verbessern.
Und was tut die Linkspartei konkret für Rot-Rot-Grün?
Wir verschließen uns dem nicht. Aber klar ist, dass wir der Rente mit 67 oder dem Afghanistan-Krieg nicht zustimmen werden. Dann machten wir uns selbst überflüssig. Es gibt aber Felder, wo wir Kompromisse machen könnten.
Machen Sie mal eine zarte Andeutung.
Na, zum Beispiel, wann welche Maßnahmen in der Steuerpolitik greifen und welche Fristen es gibt. Aber neben den inhaltlichen Differenzen mit der SPD gibt es noch eine große Hürde für eine solche Regierung.
Welche?
Die Stimmung in der Gesellschaft. Rechnerisch und inhaltlich hätte es im Land Berlin schon vor 2002 eine rot-rote Koalition geben können. Aber erst als der Berliner Bankenskandal dazu kam, war Rot-Rot gesellschaftlich möglich. Vorher nicht.
Und jetzt gibt es eine globale Finanzkrise. Warum versuchen sie nicht die gesellschaftliche Stimmung zu verändern?
Tun wir doch. Aber auch wer uns nicht wählt, muss uns akzeptieren. Wer in Bayern CSU wählt, muss damit leben können, von uns regiert zu werden. So weit sind wir noch nicht.
Woher wissen sie das?
Das sagt mir mein Instinkt.
Ein bisschen genauer.
Na ja, wir Linke haben noch unzureichende Kontakte zur Wissenschaft, zur Kunst, zur Kultur. Das sind Parameter, an denen man etwas ablesen kann.
Es ist also zu früh für Rot-Rot-Grün …
Ja und nein. Der gesellschaftliche Veränderungsbedarf ist riesig. Und akut. Aber die Stimmung gibt es noch nicht ausreichend. Auch wenn es Zeichen für eine Veränderung gibt. Sogar der Wirtschaftsrat der CDU will ja höhere Steuern. Mich laden immer mehr Wirtschaftsverbände ein.
Was verlangen Sie denn von der SPD, damit Rot-Rot-Grün möglich wird?
Die SPD muss sich grundsätzlich entscheiden, wem sie nähersteht: uns oder der Union und FDP. Jetzt lautet ihre Antwort: den Konservativen. Interessant wird es zum Beispiel bei der Wahl 2011 in Sachsen-Anhalt. Was passiert, wenn wir stärker werden als die SPD? Schafft die SPD es dann, einen linken Ministerpräsidenten zu wählen, oder verkrümelt sie sich in die große Koalition? Wenn sie das tut, brauchen wir wohl über eine Koalition 2013 gar nicht mehr zu reden.
Warum?
Weil eine Koalition im Bund natürlich in den Ländern vorbereitet werden muss.
Ist dieser Widerwille in der SPD gegen die Linkspartei eine Generationenfrage? Müssen Steinmeier & Co erst abtreten?
Nein, es geht nicht um Generationen, sondern um den rechten Flügel der SPD. Der muss es akzeptieren.
Und wie überzeugen Sie den?
Durch Stärke. Nichts anderes.
Haben Sie mal mit rechten Sozialdemokraten geredet?
Ja. Sie haben verstanden, dass sie ihre Haltung zu uns ändern müssen. Langsam.
Manche Genossen in Ihrer Partei träumen, dass SPD und Linkspartei trotz aller Missstimmung wieder eine Partei werden könnten. Sie auch?
Nein, die inhaltlichen Differenzen sind zu groß. Ich will auch nicht als Sozi sterben. Lieber als demokratischer Sozialist.
Herr Gysi, die Landeschefs im Osten sind auf Distanz zu Ihnen gegangen, vor allem seit sie den Geschäftsführer Dietmar Bartsch desavouiert haben …
Die Landeschefs Ost hatten früher ein großes Gewicht, weil die Landessprecher West gar keines hatten. Das ist anders geworden. Ich verstehe ja, dass das für Reibungen sorgt. Ich bin mit Oskar Lafontaine wirklich gut klargekommen. Aber ich weiß nicht, ob das auch so gewesen wäre, wenn wir fünfundzwanzig Jahre jünger gewesen wären.
Inwiefern?
Mit sechzig ist man gelassener und nicht mehr so ehrgeizig. Was soll ich denn noch werden wollen?
In fünf Jahren könnten Sie ja für die Linke als Bundespräsident kandidieren.
Ich habe leider überhaupt nichts Präsidiales. Und dafür bin ich auch nicht beliebt genug. Nein, ich bin völlig zufrieden mit dem, was ich bin.
Und wenn es doch mal Rot-Rot-Grün im Bund gäbe?
Dann würde ich höchstens Postminister. Und den haben sie ja abgeschafft.
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