■ Greenpeace beherrscht die Schlagzeilen: Manipulation und Demokratie
Was ist los? Die Wogen der Greenpeace-Begeisterung schlagen, in Deutschland zumal, höher als die Druckwellen der Testbombe in der Lagune des Moruroa-Atolls.
Was macht Greenpeace plötzlich – wieder, und mehr denn je – so attraktiv, so „sexy“, wie Werbeleute und anglophone Politiker in solchen Fällen gerne sagen? Warum konstruiert die Öffentlichkeit einen David um zum Goliath? Und ist es überhaupt noch geheuer, wenn von Bild bis Frankfurter Rundschau sich die meisten Medienmenschen einig sind, daß das klare Schema gilt: „Chirac, Shell: böse – seetüchtige Aktivisten: gut“?
Greenpeace beherrscht die Schlagzeilen, die Titelseiten, die kostbaren Sendeminuten auf der Mattscheibe. Die Franzosen reden von „Hysterie“, manche Journalisten von plötzlicher „Selbstüberschätzung“ der Ökologie-Streiter. Letzteres ist Unfug, denn kalkulierter Größenwahn lag immer schon im Charakter der „Aktionen“. Und seit Jahrzehnten fuhren Schiffe zum Protestieren in Atomtestzonen, das erste Mal im Greenpeace-Gründungsjahr 1971.
Aber woher, fragen die kritischsten von allen, nimmt Greenpeace eigentlich sein Mandat? Mit welchem Recht erlaubt sich eine Gruppe, soviel Staub aufzuwirbeln und Gischt aufzuschäumen?
Greenpeace-Sprecher beantworten das wie einst Axel Springer die Frage nach der Legitimation seiner Boulevard-Blätter: Solange die Leute unser Produkt kaufen, beschied er, ist es auch existenzberechtigt. Täglich fände „eine Abstimmung am Kiosk“ statt, die zu seinen Gunsten ausfalle. Solange die Deutschen allein 70 Millionen Mark im Jahr an Greenpeace spenden, ist das Produkt gefragt.
Greenpeace ist hierzulande ein gemeinnütziger Verein, in den Niederlanden eine internationale Stiftung und ist legitimiert, für sich zu werben und seine „Zwecke“ zu verfolgen. Ist Greenpeace schuld, wenn Papeete brennt? Oder wenn die Medien sich, angeödet von provinzieller Innenpolitik und unübersichtlicher Außenpolitik, auf die „sexy action“ stürzen wie die Geier?
Vorsicht mit schnellem Urteil. Denn „Greenpeace“ wird von all jenen mitkonstruiert, die es so spiegeln, wie sie es gern sähen und wie sie es brauchen. Die Organisation selbst reflektiert dieses Begehren und tut das Ihre, um ihm zu entsprechen. Dabei tragen beide Seiten ihren Anteil an Verantwortung: Greenpeace wäre gut beraten, sich nicht von dem durchaus hysterisch zu nennenden Moruroa- Rummel beeindrucken zu lassen, und die Medien wären weiser, wenn sie die eigenen Konstruktionen durchschauten.
Unerfreulich für eine Demokratie wird es nur dann, wenn legitime Pressure-groups herhalten müssen, das kreative Vakuum der offiziellen Politik zu füllen. Wenn sie zum Ersatz für vertraute Antagonismen werden, für bequeme Freund-Feind-Schemata. Der Effekt ist Regression statt Progression. Die Öko-Bewegung mit ihren Natur-Fetischierungen und Fixierungen kann dazu allemal den Stoff liefern.
Zeithistorisch betrachtet heißt das: Beim gegenwärtigen Greenpeace-Boom spielt womöglich das Bedürfnis eine Rolle, in der fragmentierenden Weltlage nach Mauerfall und Kaltem Krieg und während des grausigen heißen Krieges auf dem Balkan, wenigstens irgendwo auf der Welt klare Fronten zu basteln. Greenpeace und die Medien liefern sie Hand in Hand, wie bestellt. Daß dabei zur gegenseitigen Manipulation gerinnt, was gesellschaftliche Reflexion provozieren sollte, liegt nahe.
Was augenblicklich geschieht, ist denn auch eher ein Symptom für das Versagen von Politik, Medien und Industrie als für die Anmaßung regierungsunabhängiger Organisationen. Nicht Greenpeace greift die Demokratie an, sondern diese sich selbst. Daß ihr Greenpeace dabei hilft, sagt jedoch auch etwas darüber aus, daß der Ökomulti historisch bewußter werden muß, um nicht zur Werbemaschine umfunktioniert zu werden. „Postmodern“, wie er sich selbst vage nennt, sollte er nicht postpolitisch werden.
Denn Manipulation mag ja für viele „sexy“ sein, und je weniger selbstbewußt, je unrealistischer jemand ist, desto eher läßt er sich darauf sein. Erotisch aber ist sie nicht. Respektvoll auch nicht. Und auch nicht politisch verantwortlich und demokratisch motiviert. Dabei wären all dies Qualitäten, auf die es jetzt ankäme.
Trotzdem: Der suspekte gegenwärtige Boom und Aufstieg zum Öko-Popstar ist nicht das einzige, was Greenpeace auszeichnet. In neun Jahren als Mitarbeiterin bei Greenpeace habe ich zum Beispiel unmerklich eines gelernt, wofür ich, bei aller Ökologie-Kritik, heute dankbar bin: Gesellschaftliche Veränderungen, große, wirksame, sind möglich, ziviler Ungehorsam lohnt sich.
Greenpeace ist auch heute nicht allein eine selbstreferentielle Werbeagentur, sondern zugleich eine heterogene, komplexe Organisation.
Fraglich aber ist nicht nur, wie und ob die Öffentlichkeit sich ihren David-Goliath weiterbaut, sondern auch, auf wessen Stimme im Innern des mächtigen Markenzeichens gehört wird. Bislang etwa hat die Fraktion, die Shell und anderen Ölmultis nach dem Brent- Spar-Spektakel wirklich an den Kragen wollte, sich bei Greenpeace nicht durchgesetzt.
„Die Brent Spar ist nur die Spitze des Eisbergs“, erklären ihre Vertreter, ein „wirksames Symbol“. Jene, die weiterdenken, wünschen sich, daß Greenpeace im Kielwasser des Brent-Spar-Erfolges jetzt die groben Umweltverbrechen der großen Ölkonzerne frontal attackiert; etwa im ölreichen Nigeria, wo die Opposition gegen Shell brutal und blutig unterdrückt wird, oder in Ecuadors ölverseuchten Regenwäldern, wo lecke Pipelines von Texaco, Conoco, Petroecuador, Maxus und anderen Fischgründe und Böden verschmutzen.
Doch diese Themen in Angriff zu nehmen, fehlt, so scheint es, bei Greenpeace wie bei anderen, der politische Wille. Die Protestierenden vor Ort bleiben allein, Solidarität mit ihnen würde mehr erfordern als postmoderne „sexy action“. In diesen Ländern nämlich ist die Kulisse nicht so PR-gerecht, träfe der Angriff das Herz der Konzerne, nicht nur eine rostige Plattform an der Peripherie des Profits irgendwo draußen im Meer.
Was Greenpeace und anderen Organisationen im Norden bevorsteht, ist eine neue Phase der Nord- Süd-Kooperation im Einsatz gegen skrupellose Multis. In den vielen jüngeren Greenpeace-Büros von Tunesien bis Guatemala arbeiten hochmotivierte Leute. In der Zusammenarbeit mit ihnen könnten die PR-Agenten im Norden sich wirksam repolitisieren – und viel politische Glaubwürdigkeit gewinnen. Caroline Fetscher
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