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Gratwanderung im Sozi-Mikrokosmos

■ Zuckerbrot und Peitsche für die Afa / Henning Voscherau an der Arbeitnehmer-Basis

Bier, Braten, Schmalzbrot, Gurkenscheiben. Und deftige Worte: „Sozialmißbrauch können wir nicht verhindern, aber es muß die Frage erlaubt sein, ob wir für alle, die in unsere Stadt kommen, bezahlen müssen.“ Und: „Was mich insbesondere stört, sind die hohen Ausgaben für kriminelle Crash-Kinder und jugendliche kurdische Heroindealer.“ Und: „Der kriminelle Mob tobt sich auf Hamburger Straßen aus. Nirgendwo ist man mehr sicher.“ Applaus.

Nein, nicht von der Arbeitsgruppe Innere Sicherheit der „Republikaner“, der Beifall für die starken Sprüche kommt von der Hamburger Sektion der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz Afa, und er gilt ihrem Vorsitzenden Manfred Blankley. Dessen Art „ist es ansonsten nicht, so lange zu reden“. Aber an diesem Dienstagabend glaubt er, es doch tun zu müssen.

Es ist der Neujahrsempfang der 1100 Mitglieder zählenden SPD-Betriebsorganisation, und der Ehrengast ist prominent: Henning Voscherau, Bürgermeister. Und da wird man ja mal sagen dürfen, was „die schweigende Parteimehrheit“, wie Blankley meint, so denkt: „Hafenstraße, Karolinenviertel. Hier ist jetzt Handlungsbedarf. Der Staat darf sich das Gewaltmonopol nicht aus der Hand nehmen lassen.“

Voscherau läßt sich nicht hinreißen. Der sogenannten harten Hand als politischem Instrument gelegentlich selbst zugeneigt, müht sich der Senatschef um Differenzierung, beschreibt Ursachen von Flüchtlingsnot, globalen Wanderungsbewegungen, stellt sich – dem Afa-Vorsitzenden verhalten, aber deutlich Paroli bietend – vor die von Blankley diffamierten: „Wir sind gut beraten, Zuflucht zu gewähren.“ Und: „Ich kann es niemandem verdenken abzuhauen, vor Hunger und Tod. Ich würde es genau so machen.“ Hat da einer, der noch vor Jahresfrist die Parole vom „vollen Boot“ nachplapperte, gelernt?

Es ist wohl eher so, daß Voscherau mehr als andere in seiner Partei spürt, wie wenig der politische Diskurs in der Hansestadt noch nachvollziehbar ist, für einen Großteil derjenigen, denen er gilt. Auch, daß er selbst bis zuletzt mit allzu derber Wortwahl – Hafenstraße, Asylbewerber – Hoffnungen erweckt hat, die er nicht erfüllen kann, selbst wenn er wollte. Die Wiederherstellung von „Recht und Ordnung“ im populistischen Sinne, das weiß inzwischen auch der Bürgermeister, kann in einer Metropole nicht gelingen, in der die gesellschaftlichen Gegensätze größer werden.

Was also tun mit den Blankleys und jenen 20, 30, 40 Prozent der WählerInnen, die nach Voscheraus Einschätzung einem Jörg Haider ihre Stimme geben würden, „wenn es in Deutschland eine vergleichbare charismatische Führungspersönlichkeit“ gäbe? Der Senatschef müht sich im gesellschaftlichen Mikrokosmos Kurt-Schumacher-Haus, die Rolle des Reintegrators zu spielen.

Braten und Schmalzbrot ist alle, Bier und Gurken gibt's noch. Voscheraus Absage an Blanckleys Grobheiten, folgt Affirmatives. Ohne die Worte „Sozialmißbrauch, Hafenstraße, Karoviertel“ in den Mund zu nehmen, fordert der Bürgermeister „härteres Gegenhalten, wenn staatliche Angebote ausgeschlagen werden. Wer nicht hören will, muß fühlen, denn solidarisch sind wir schon, aber nicht blöd.“ Großer Beifall.

Zuckerbrot und Peitsche für die Afa-Mitglieder. Positiver formuliert, eine Gratwanderung, mit der Voscherau – das ist sein Selbstverständnis – zu verhindern sucht, daß der Demokratie ein Teil der Basis verlorengeht. Oder vielleicht, eine Nummer kleiner, der SPD die Afa-Mitglieder. Uli Exner

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