Grace Jones-Konzert: Die Mutter aller Raubkatzen
Glamour für alle: Die extravagant gekleidete Sängerin Grace Jones stellt bei ihrem Konzert in Berlin aufs Discodelischste klar, was Tanzmusik bedeutet.
Tourneeauftakt zu Grace Jones unerwartetem Comeback-Album "Hurricane". Ein Banner mit dem Wort "Trybez" hängt auf der Bühne des ausverkauften Berliner Tempodroms. Das Publikum, fast ausschließlich weiß, um die vierzig - viele heterosexuelle Paare -, wartet sehnsüchtig auf die temperamentvolle, launische Raubkatze des Showgeschäfts.
"Trybez" entpuppt sich als Name der Vorgruppe. Die wären auch nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht gegen Ende des Gesangsvortrags, der nach Pauschalurlaub-trifft-auf-urbanes Beatsgeballer klingt, einer der Sänger verkünden würde: "Viele Künstler danken ihrer Mami, aber ich freue mich heute Abend ganz besonders, mich bei Mama zu bedanken, denn Grace Jones ist nun mal wirklich meine Mami." Ein Raunen geht durch die Menge: Die androgyne, hedonistische Ikone der New Yorker Nobeldisco "Studio 54" ist also nicht nur Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin, sondern auch Mutter.
Nach dem Umbau ist auf der Bühne nur ein dunkler, schwarzer Vorhang zu sehen und fettiges Bassgewummer ertönt aus den Lautsprechern. Das Licht von Taschenlampen kreist auf dem dunklen Tuch. Bei der kleinsten Bewegung auf der Bühne ertönt nervöser Jubel aus allen Ecken im Saal. Dann die Ansage: "Ladies and Gentlemen. Miss Grace Jones!" Ein schleppender, harter Reggaerock-Rhythmus setzt ein und der Vorhang verschwindet im Scheinwerfernebel. Auf der Bühne ist dann allmählich eine Art Landebrücke zu erkennen. Auf ihr steht die auf Jamaika geborene Tochter eines Predigers wie eine Außerirdische mit Raketenspitze als Kopfbedeckung, an der zwei kleine rote Lampen, den Fühlern eines Käfers gleich, anmontiert sind. "Nightclubbing" heißt das erste Stück der Show, es stammt vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 1981, das Grace Jones damals mit der legendären jamaikanischen Rhythmusgruppe Sly&Robbie aufnahm. Dieses Album prägte die Poplandschaft mit seinem speziellen Sound aus Dub, Rock, Reggae und Grace Jones diktatorischem Sprechgesang. Dieser urbane Sound bestimmt auch den Abend: Die Bässe sind schwer, der Schlagzeug-Sound wird mit viel Echo und Hall bearbeitet und die Keyboards und Gitarren spielen kleine Figuren, die im Jahr 2009 an den Klang schriller Klingeltöne erinnern.
Schon beim zweiten Stück "Weapon of Choice" vom aktuellen Album "Hurricane" können sich die Zuschauer nicht mehr auf den Rängen halten und strömen in Scharen vor die Bühne. Das Publikum versucht, zwischen den Stühlen zu tanzen. Erwachsene Menschen drängen sich nach vorne, um die Dame mit den Beinen bis zum Hals und beneidenswertem Po - nicht selten an einer Strip-Stange räkelnd - aus der Nähe zu sehen. Nach jedem Song begibt sich Miss Jones in eine Art Umkleidekabine, die auf der Bühne aufgebaut ist. Während sie ihr Outfit wechselt, spricht sie zum Publikum: "Hach, hier drinnen kann ich mir jetzt schön einen Spliff reinziehen" oder "Jetzt fühle ich mich richtig geil, fühlt ihr euch auch geil?" oder "Hey du, ich möchte deinen Stock, zeig mir sofort deinen Stock" - und wer hier an etwas Schmutziges dachte, musste schließlich schmunzeln, als sie aus der Umkleide mit einem ordinären Schlagzeugstock herauskam, um auf eine Kuhglocke einzuhämmern.
Jedes Umkleideszenario mündete in eine neue Kopfbedeckung: Laufsteghut, Katzenöhrchen, Stripteasetänzerinnen-Perücke und zum visuellen Höhepunkt der Show: eine sich drehende Discokugel auf dem Kopf, die, von einem grünen Laserlicht angeleuchtet, den Saal aufs Discodelischste erhellte. Als zu Grace Jones Hit "Pull up to the bumper" zwanzig Tänzer aus dem Publikum auf die Bühne gelassen wurden, fühlte man sich an das Versprechen von Disco zurückerinnert: Ob Mann ob Frau, ob reich, ob arm, ob hetero oder gay: Glamour für alle! Auf der Tanzfläche ist jeder ein extravaganter Star. Die Publikumstänzer wirkten zwar eher wie Statisten aus einem Showdown einer Schlagerparade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, aber die goldene Ära der Discomusik ist schließlich auch schon über dreißig Jahre her.
Als Grace Jones am Ende ihrer Show zu einer zehnminütigen Hula-Hoop-Übung beim Song "Slave to the Rhythm" ihre Band vorstellte, dachte man: Attraktive, sympathische, humorvolle Frau, diese Frau Jones. Eigentlich hatte man ja ein Raubtier erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe