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Archiv-Artikel

Gottschalk sagt Humoristen haben einen Defekt

Gerade gestern sah ich mit meinen Eltern zusammen die Begegnung noch mal dokumentiert. Saturn hatte nämlich ein Sonderangebot gehabt, Super-8-Filme auf DVD zu brennen, und auch die Gottschalks hatten ihre Kiste mit Familienfilmen dort abgegeben. Also sah ich mich als Fünfjährigen im Fernsehen, mir gegenüber der Typ mit dem komischen roten Anzug und dem weißen Bart, der in seinem beschissenen goldenen Buch eine Akte über mich angelegt hatte. Es gab ihn also tatsächlich, schließlich stand er mir gegenüber, und er wusste viel über mich, aber es war mal wieder nur die halbe Wahrheit. Er hätte gehört, sagte der Weihnachtsmann, ich würde immer so „quieken“. Das stimmte wohl. Den Satz, den dieser süße kleine Steppke, der ich mal war, dann mutig entgegnete, kann, obwohl es kein Tonfilm ist, die gesamte Familie lippensynchron mitsprechen: „Wenn die mich immer ärgern.“ Niemand weiß mehr, was der Weihnachtsmann darauf gesagt hat, wahrscheinlich irgendwas mit „trotzdem“. Aber ich wusste ja, dass ich im Recht war. Es war also schon immer so: Ich hatte recht, und die anderen wollten es nicht merken.

Auch der Beginn meiner Karriere als Humorist ist dokumentiert. In Bulgarien am Goldstrand gab es ein Restaurant auf einem Piratenschiff, wo die Kellner wie Piraten aussahen. Dieses Schiff ist im Film festgehalten und damit folgende Anekdote: Meine Mutter stand vor dem Schiff und ich sagte: „Guck mal, zwei alte Fregatten.“ Kein guter Witz, zugegeben, und ich kriegte ziemlichen Ärger mit meinem Vater.

Aber die Geschichte beweist: Humorist zu werden hat nichts mit Fähigkeiten zu tun, es ist eigentlich ein Defekt. Man sieht einen Witz und er muss raus, selbst wenn man die eigene Mutter beleidigt. Heute versuche ich, das etwas besser zu steuern. Ich sage nicht alles, was mir in den Kopf kommt, manchmal retten mich auch einfach technische Probleme: Selbst während einer sehr unangenehmen Parandonthitis-Behandlung sind mir schon „Kommt-ein-Mann-zum-Zahnarzt“-Witze eingefallen. So hat jeder sein Päckchen zu tragen.

Obwohl der Weg also seit der „Fregatten-Affäre“ quasi vorgezeichnet war, habe ich seitdem sehr viele verschiedene Jobs gemacht, aber einen nie: Weihnachtsmann. Diese Typen: Einerseits pädagogischer Stasi, andererseits Paketboten des Einzelhandels. Nicht umsonst verstecken sie ihr Gesicht feige hinter einem juckenden Synthetikbart. Sollte er noch mal bei mir auftauchen und mir wieder irgendwelche Verfehlungen aus seinem goldenen Buch vorhalten wollen, werde ich ihm mal richtig die Meinung sagen: Weihnachtsmann, Du bist nur ein Unterdrückungsinstrument in den Händen der Reaktion!CHRISTIAN GOTTSCHALK

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz