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Gott oder Graham?

■ In ihrem Film Der Priester findet die britische Regisseurin Antonia Bird einen differenzierten Zugang zum Katholizismus

Der Priester (Linus Roache) hat bei Jesus' Anblick oft nur eins im Kopf: Ein schöner Mann! Mit diesem Gedanken haben in England einige Diener Gottes zu kämpfen, denn das nachwuchsarme Priesteramt besitzt besonders noch für diejenigen Anziehungskraft, die einen Weg suchen, ihre Homosexualität zu vergessen. Bei den Recherchen zu ihrem Film Der Priester, der kommenden Dienstag zum ersten Mal in Hamburg im Alabama laufen wird, gewann die Regisseurin Antonia Bird, selbst kirchenabstinent, einen differenzierten Zugang zum Katholizismus. Ihre Kritik richtet sich gegen die Kirche als Institution und die Absolutheit ihrer Regeln wie des Zölibats und Beichtgeheimnisses und entwirft gleichzeitig das Bild einer alternativen, „realkatholischen“ Praxis.

Der fanatische, gutaussehende, junge Priester Greg wird dem unorthodoxen Father Matthew (Tom Wilkinson) als Erziehungsmaßnahme zugeteilt – und macht sich sofort unbeliebt: Er predigt Individualismus statt Sozialismus, missioniert die Bevölkerung, erwischt Fr. Matthew mit seiner Haushälterin Cathy im Bett. Bis es ihm die Realität unmöglich macht, länger zu übersehen, daß die Einwohner seiner Diözese arm sind, Matthew und Cathy sich lieben, Trauerfeiern Besäufnisse sind, das Beichtgeheimnis in Notfällen unsinnig – und er selbst unsterblich verliebt ist. Letzteres führt schließlich zum öffentlichen Skandal und Greg vor die Frage: Gott oder Graham?

Diese Wirklichkeit hat Antonia Bird in gut englischer Tradition „realistisch“ in Szene gesetzt. Die Bezüge zu Ken Loach, ihrem erklärten Vorbild, und Mike Leigh sind unverkennbar: die Schauspieler (Robert Carlyle, Riff-Raff, und Leslie Sharp, Naked), die sozial-religiöse Thematik, die Poesie und Körperlichkeit der Bilder von tristen Industriestädten und „kleinen Leuten“, die mit sarkastischem Humor Schwermut und Tränen überspielen, bis diese um so dramatischer hervorbrechen. Die filmischen Stimmungsmacher – Parallelmontage dessen, was die Seele spaltet, Kreiseln ums Liebespaar, emotionsgemäßes Wetter – sind nicht gerade dezent, aber wirksam.

Antonia Bird ist schon zufrieden, wenn Gregs Bitte an die Gemeinde um Vergebung für seine Ausschweifungen Entrüstung hervorruft: „Dann haben wir einen Punkt gemacht gegen die Bigotterie.“ (Nichtkatholen phantasieren eine heiße Nacht auf dem Altar.)

May Mergenthaler

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