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Gorbatschow beschwört Parteieinheit

■ Die Parteikonferenz der russischen Kommunisten wird eine eigenständige Partei der russischen Föderation begründen / Gorbatschow gegen Fraktionsbildung und für die Stärkung der Zentrale / Konservative versuchen, die neue Partei zu majorisieren / Demokraten ohne Chance

Moskau (afp/taz) - Am Dienstag hat in Moskau die Parteikonferenz der russischen Kommunisten begonnen, die die Wiederbegründung einer selbstständigen kommunistischen Partei der russischen Föderation beschließen und deren Leitungsorgane wählen wird. 1925 war die KP Rußlands in der KPdSU aufgegangen, es existierte nur ein russisches Büro beim ZK der Unionspartei, zu dessen Vorsitzenden sich Gorbatschow hatte ernennen lassen, um die Entwicklung innerhalb der russischen Parteiorganisationen unter Kontrolle zu behalten. Lange Zeit hatte Gorbatschow versucht, die Gründung einer eigenständigen russischen Partei herauszuzögern, fügte sich jetzt aber ins Unvermeidliche und schlug selbst die sofortige Gründung der russischen KP vor.

In seiner Eröffnungsrede setzte sich der Parteichef vehement für die Einheit der KPdSU ein. Gorbatschow sprach sich dafür aus, in die Statuten der neu zu gründenden Partei einen Passus aufzunehmen, der Fraktionsbildungen ausdrücklich untersagt. Dieses von Lenin auf dem 10. Parteitag durchgesetzte Verbot war ein Eckstein des totalitären Stalinschen Parteiaufbaus gewesen. Ausdrücklich wandte sich Gorbatschow gegen die Forderung der demokratischen Kommunisten, die KP in eine Partei „parlamentarischen Typus“ umzuwandeln.

Nach dieser Abgrenzung von der demokratischen Parteilinken griff Gorbatschow auch kräftig die Konservativen an. Der Reformkurs führe weder zur „Apokalypse“ noch zur „Anarchie“. Die Entstalinisierung haben in den letzten fünf Jahren große Erfolge errungen und ein Fundament für die „Vorwärtsbewegung der sowjetischen Gesellschaft zu einem wahrhaft demokratischen und humanen Sozialismus gelegt“.

In seinem Koreferat übte im Namen des Vorbereitungskomitees der Delegierte Iwan Osadschin heftige Kritik an Gorbatschow und der Parteiführung. „Viele Kommunisten“, sagte er, „sind davon überzeugt, daß die Zentrale die Schuld dafür trifft, wenn die Partei heute in der Lage eines Gejagten ist, der auf den Gang der Ereignisse keinen Einfluß mehr nehmen kann.“ Gorbatschow forderte für die Zentrale das Recht, Beschlüsse der Republikparteien aufzuheben, wenn diese dem Parteistatut der KPdSU zuwiderlaufen. „Die Zentrale soll auch das Recht haben, unmittelbar die Parteimassen und die Grundorganisationen anzusprechen und unbhängig von der Haltung der republikpartei Referenden und Parteidiskussionen einzuleiten.“

Diese von Gorbatschow eingeforderten Prärogativen richten sich auch gegen den bürokratischen Apparatflügel unter den russischen Kommunisten, der die russische Partei zu einer Hochburg des Konservativismus ausbauen will. Dieser verfügt, obwohl bei den Wahlen zum Volksdeputiertenkongreß Rußlands deutlich geschlagen, innerhalb der Parteiorganisation über die stärkste geschlossene Gruppe. Um einen Sieg der Konservativen auf der Parteikonferenz zu verhindern, haben Gorbatschows Anhänger vorgeschlagen, die Konferenz zweizuteilen. Die Wahl der Führung soll erst nach dem All -Unions-Parteitag Anfang Juli erfolgen.

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