: Golfkrieg-Tribunal ohne Öffentlichkeit
15 Delegierte saßen über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak zu Gericht/ Ihr Urteil: „Schuldig wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“/ Medien ignorieren die Ramsey-Clark-Initiative ■ Aus New York A.-B. Clasmann
„Wir müssen die von der Bush-Administration und der amerikanischen Presse errichtete Mauer des Schweigens durchbrechen.“ Faho Barron beschreibt das Hauptanliegen seiner „Kommission zur Aufdeckung amerikanischer Kriegsverbrechen“. Die nach dem Ende des letzten Golfkrieges von dem ehemaligen US-Generalstaatsanwalt Ramsey Clark ins Leben gerufene Kommission bemüht sich seither um die Veröffentlichung unzensierten Materials über den Luftangriff der Alliierten Koalition auf den Irak. Am Wochenende organisierte sie ein Tribunal in New York. Am Ende urteilten die 15 „Richter“: Schuldig wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Müde und mit resigniertem Gesichtsausdruck war Ramsey Clark am Samstag zu der öffentlichen Sitzung des Tribunals erschienen. Schon vor langer Zeit hatten ihn seine Aktivitäten gegen den amerikanischen Militarismus zu einem Mann gemacht, dessen Name in Washington nicht mehr genannt wird. Ramsey Clark, der den Irak während des Krieges bereist hat, ist auch der Organisator des am Freitag abend in New York eröffneten internationalen „Tribunals zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen“ während der Bombardierung des Irak.
US-Bomber jagen irakische Zivilisten
Das dreitägige Tribunal präsentierte bisher nicht veröffentlichtes Filmmaterial und ließ Augenzeugen zu Wort kommen. Die Organisatoren zeigten Bilder von amerikanischen Bombern, die Jagd machten auf Iraker, die aus ihren Autos fliehen. Ein irakischer Familienvater, der seine Frau und vier Töchter bei der Bombardierung des Al-Almeriyah-Bunkers in Bagdad verloren hat, hielt eine Rede. Nicht die üblichen Videospiele von Präzisionsbombardements aus Sicht der amerikanischen Luftwaffen-Piloten wurden in New York gezeigt. Hier entstand vielmehr das Bild von demoralisierten, fliehenden irakischen Soldaten und von weinenden Müttern, die versuchten, zwischen Hunderten von verbrannten Körpern den ihres Kindes zu finden. Dann stellte die Kommission die entscheidende Frage: Was wäre geschehen, wenn die amerikanische Öffentlichkeit diese Bilder gesehen hätte?
Doch das große Publikum bekam die erschreckenden Bilder nie zu Gesicht. John Alpet, der einen Videofilm über Ramsey Clarks Reise durch den Irak gedreht hat, lief mit seinem Material gegen verschlossene Türen. Kein amerikanischer Redakteur war bereit, Alpets Film nach dem Krieg zu senden und so seinen Job aufs Spiel zu setzen: Für weinende AraberInnen gibt es keinen Platz im amerikanischen Fernsehen.
Das Tribunal hat in einem symbolischen Prozeß über das Vorgehen der Alliierten Koalition zu Gericht gesessen. Es nannte die Charta der Vereinten Nationen, die Genfer Konvention und die Verfassung der Vereinigten Staaten als Grundlagen für seine Arbeit. In erster Linie ging es dem Tribunal um die Unmenschlichkeit einer derart überlegenen Kriegsmaschinerie, wie sie im letzten Golfkrieg eingesetzt wurde. 15 Delegierte aus 13 Nationen, Mitglieder von Friedensbewegungen und Menschenrechtsorganisatinen haben die USA im Saal der Martin-Luther-King-High-School in Manhattan eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen. Die selbsternannten „Richter“ waren aus vier Kontinenten zusammengekommen. Die meisten von ihnen hatten sich schon im vergangenen Jahr in ihren Heimatländern an Anhörungen gegen den Golfkrieg beteiligt.
Doch weder die Miglieder des Tribunals noch die 1.500 ZuhörerInnen auf der Abschlußveranstaltung haben den nötigen Einfluß auf die amerikanische Öffentlichkeit, können den amerikanischen Mainstream beeinflussen. Wieder einmal trafen sich machtlose Mahner, die auf dem Tribunal nur mit sich selbst sprachen. Selbst die Stimme des zu Anfang so begeisterten Faho Barron klang wenig überzeugend, als er am Samstag in den Saal rief: „Krieg darf nie wieder ein Mittel amerikanischer Außenpolitik sein. Wir sind die Mehrheit.“
Angst vor kontroversen Themen?
Bereits am Freitag abend im Alternative Museum in New York war klargeworden, daß bis zur Abschlußsitzung des Tribunals vieles unausgesprochen bleiben würde. Trotz der guten Vorsätze beschränkten sich die „Richter“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Mythos eines gerechten und fast schmerzlosen Krieges sitzt immer noch tief im Bewußtsein vieler Menschen — nicht nur in den USA. Hatten die Organisatoren des Tribunals deshalb Angst, auch kontroverse Themen wie die irakische Invasion in Kuwait oder die Wirksamkeit wirtschaftlicher Sanktionen zur Sprache zu bringen?
In den wesentlichen Punkten der „Anklage“ demonstrierten die TeilnehmerInnen aus 13 Staaten Asiens, Europas, Afrikas und aus den Vereinigten Staaten Einigkeit. Sie verurteilten den Angriff auf irakisches Territorium und traten für eine Aufhebung des Wirtschaftsembargos gegen den Irak ein. Hinter den Kulissen konnte von einem einheitlichen Standpunkt der Teilnehmer jedoch nicht die Rede sein. So warf beispielsweise der Leiter der ägyptischen Delegation, Dr. Sheris Hetepa, der US-Regierung „kolonialistisches Denken“ vor. Die japanische Delegation verurteilte vor allem die finanzielle Beteiligung ihres Landes an diesem Krieg. Henning Zierock von der deutschen Gesellschaft „Kultur des Friedens“ stellte, wie schon bei der Anhörung zum Golfkrieg am 30. November in Stuttgart, die Unterstützung des amerikanischen Militärs durch die Bundesregierung in den Vordergrund. Die habe insbesondere auf dem Gebiet der Logistik stattgefunden.
Ramsey Clark selbst sprach von einem „rassistischen Krieg“, in dem Amerikas Rüstungsindustrie ihr Kriegsmaterial testete. Stark umstritten war unter den europäischen Teilnehmern jedoch Clarks Verschwörungstheorie, wonach die US- Regierung die Zerstörung des Wirtschaftssystems und der Infrastruktur des Irak bereits in den späten achtziger Jahren geplant haben soll. Auch Dr. Alfred Mechtersheimer, ehemaliges Bundestagsmitglied in der Fraktion der Grünen und einer der 15 „Richter“ dieses Tribunals, hält die Beweisführung in diesen Punkten nicht für stichhaltig. „Die Angeklagten sind leider nicht erschienen“, bedauert er. Doch mit einer Reaktion Präsident Bushs, General Schwarzkopfs oder Außenminister Bakers hatte die Kommission ohnehin nicht gerechnet, als sie ihre „Vorladungen“ verschickte. Aufschlußreich erschien dagegen vielen der Boykott des Tribunals durch die amerikanische Presse. Dank der Veröffentlichung eines Buches (War Crime Report on United States War again Irak) und dank wochenlanger Post- und Plakataktionen durch die Kommission mußten die Medien das Thema schließlich doch behandeln, wie ein Artikel der 'New York Times‘ vom 22. Februar zeigt. Darin greift der Autor — allerdings ohne Namen zu nennen — einige Anklagepunkte des Tribunals auf und interpretiert den neuesten Bericht des Pentagon, in dem von unbeabsichtigt großen Schäden an der Elektrizität und Wasserversorgung des Irak die Rede ist, als einen Rechtfertigungsversuch. Mit mehr als derartigen Rechtfertigungen wird vermutlich auch in Zukunft nicht zu rechnen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen