■ Neu in der Schauburg: Godards "Nouvelle Vague"
Jean-Luc Godard ist ein schamloser Dieb. In seinem neuen Film sind alle Texte, alle Personen und die Fragmente der Handlung aus anderen Romanen, Filmen, Gedichten, Essays usw. abgekupfert. Und der Gipfel der Schamlosigkeit ist, daß er es nicht im Geringsten zu verbergen versucht. Offen gibt er zu: „Im Film steckt praktisch kein einziger Satz von mir.“
Mit dem Titel plündert er seine Vergangenheit und durch die Besetzung mit einer Institution des französischen Kinos kann er auch billig den Rahm von Alain Delons Ruhm abschöpfen. Godard hat schon immer hemmungslos alles genommen, was ihm gefiel und es in seine Filme gesteckt. Vielleicht ist das sein größtes Talent: er ist am originellsten, wenn er zitiert.
Da spricht die Kellnerin Schillerverse, der Gärtner gibt Weisheiten von Kafka und Aristoteles von sich, und in den Dialogen antwortet Raymond Chandler auf Jean Jacques Rousseau.
Bei Godard kommt es immer mehr auf das Wie an als auf das Was oder Warum. Wer in „Nouvelle Vague“ einer Handlung folgen will, oder gar nach dem Sinn fragt, wird nicht viel Spaß an dem Film haben. Es gibt da zwar Rudimente einer Liebesgeschichte, aber Godard erzählt so verschlüsselt und unzusammenhängend, daß Motive, Gefühle und Konsequenzen der Handlungen im Dunklen bleiben.
Godards wendet seinen alten Gauklertrick, die Aufnahmefähigkeit des Zuschauers systematisch zu überfordern, so grandios und mutwillig an wie schon lange nicht mehr. Mehrere Tonspuren laufen gleichzeitig, die Bilder sind so montiert, daß sie immer wieder den Sehgewohnheiten zuwiderlaufen und so wird sich der Zuschauer ständig beim Sehen des Sehens selber bewußt.
Godard schmeißt uns seine Bilder an den Kopf, aber jede einzelne Einstellung ist makellos. Godard ist ein Ästhet mit sehr gutem Geschmack: Er zerstückelt in der Montage, aber seine Bilder selbst sind klassisch komponiert, ausgeleuchtet und aufgenommen. Diese resolute Schönheit und der respektlose Humor, mit dem er seine Zitate aneinanderreiht, machen „Nouvelle Vague“ zu einem Film, der seinem Titel keine Schande macht.
Der Name Godard kommt im Auf-und Abspann des Films nicht vor, aber was auch immer er klaut — durch seinen Blick wird es sein Werk. Wilfried Hippen
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