Gnade vor Recht?: Ein Strafverfahren stört bei der Gastprofessur
■ Bremer Staatsanwalt stellte das Verfahren gegen Kieselbach ein: „Geringfügigkeit“
Um ihn unter Druck zu setzen, hatten die alten Toscana-Freunde auch Strafanzeige gegen Dr. Kieselbach erstattet – wegen „Untreue“. Die Kripo vernahm die Beteiligten, die Staatsanwaltschaft ermittelte, forderte Unterlagen aus dem Grundbuch in Italien an, am 30.9.1993 erklärte Staatsanwalt Gottschalk dann, er wolle noch das zivile Verfahren abwarten. Und dann vierzehn Tage später folgendes: „Ich habe das Verfahren gemäß 153a Strafprozeßpordnung eingestellt. Staatsanwalt Gottschalk.“
Was war passiert? Ein kleiner Ausflug ins Dickicht des Paragraphen 153a der Strafprozeßordnung muß vorangestellt werden, um den Fall zu erklären. Eine Einstellung eines Strafverfahrens nach §153a setzt voraus, daß die Ermittlungen abgeschlossen sind und der Staatsanwalt von der Schuld des Täters überzeugt ist. Wenn die Schuld aber gering ist, dann kann mit der Bezahlung eines Geldbetrages an die Staatskasse der Fall erledigt werden, um der Staatsanwaltschaft Arbeitserleichterung zu bringen und um dem Täter ein gerichtliches Verfahren zu ersparen. Zechbetrügereien, Verkehrsdelikte, Ladendiebstäle sollen so kurz „erledigt“ werden können. Aber schon bei Ladendieben ist unter JuristInnen umstritten, ob eine Einstellung des Verfahrens opportun sei – die abschreckende Wirkung geht nämlich verloren.
Bei Ladendiebstählen „im unteren Bereich, bis etwa 100 Mark“ liegen die „Hauptanwendungsfälle“ des §153a, sind sich die Juristen einig. All das lag aber im Falle „Casa Gatti/Kieselbach“ nicht vor. Warum konnte sich Kieselbach dennoch vom Strafverfahren freikaufen? Ein Zusammenhang besonderer Art liegt auf der Hand: In Frühjahr 1993 bewarb sich Kieselbach auf die Stelle eines „Gastprofessors“ in Hannover. Für die akademische Karriere des ehemaligen Planers der Bremer Uni war das bedeutsam, vergrößert es doch die Chance bei späteren Bewerbungen auf eine ordentliche Professorenstelle. Nur: das Wissenschaftsministerium Hannover wollte natürlich wissen, ob ein Strafverfahren gegen den Bewerber läuft. Seit 1991 lief da eines, und es sah nach dem Ermittlungsergebnis nicht gut aus für den Beschuldigten. Hätte Kieselbach einen Hinweis auf das Strafverfahren beigefügt, dann hätte es für seine Bewerbung mindestens Komplikationen gegeben. Kieselbach wollte das drohende Strafverfahren also verschweigen.
Dies alles trug Dr. Kieselbach in seiner Not im Herbst 1993 dem Staatsanwalt Gottschalk vor. Der hatte ein Einsehen, wollte Gnade vor Recht ergehen lassen, für Vertraulichkeit schien gesorgt – den Klägern müssen die Umstände der Einstellung des Verfahrens ja nicht mitgeteilt werden. Aber einen gesalzenen Geldbetrag an die Staatskasse wollte der Staatsnwalt einfordern, dem monatlichen Salär des Beschuldigten einigermaßen angemessen wie es das Gesetz verlangt. Dr. Kieselbach muß es gelungen sein, sich mit den arbeitslosen Objekten seiner wissenschaftlichen Bemühungen so sehr zu identifizieren, daß der Staatsanwalt den Betrag um 2/3 reduzierte und auf eine Summe unter 1000 Mark festsetzte. K.W.
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