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Globaler Wettbewerb um FachkräfteAn Deutschland vorbei

Der globale Wettbewerb um Fachkräfte läuft bereits - und die Attraktivität von Deutschland wurde lange Zeit überschätzt.

Suchen ihre berufliche Zukunft meist nicht in Deutschland: Indische Software-Experten. Bild: dpa

Es war eine Fantasie vieler Deutscher: Wir öffnen die Grenzen für ausländische Arbeitnehmer und die Willigen strömen hinein, bereit, für Dumpinglöhne zu arbeiten. Pustekuchen. "Die Attraktivität Deutschlands für ausländische Arbeitskräfte hat man lange überschätzt", sagt Oliver Koppel, Experte für Zuwanderung beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Bei Ingenieuren etwa gilt schon seit Längerem eine Sonderregelung, wonach sich Fachkräfte aus Polen, Tschechien oder Lettland hier direkt bei Firmen bewerben können. "Die Resonanz war sehr gering", sagt Koppel. Viele der Hochqualifizierten aus den EU-Beitrittsländern haben sich längst Jobs gesucht in Ländern wie Großbritannien oder Norwegen, die attraktiver sind für die Arbeitsmigration. Das erinnert an die Pleite der "Greencard für Inder" vor zehn Jahren - damals kamen kaum IT-Spezialisten nach Deutschland.

Auch wenn ab Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen EU-Beitrittsländer gilt, also für Polen, Estland, Tschechien und andere Staaten, erwarten Experten keinen überwältigenden Zustrom an Arbeitskräften nach Deutschland. "Wenn 100.000 Leute im Jahr kämen, lägen wir schon gut", sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Qualifizierte Pflegekräfte aus den neuen EU-Ländern etwa können in einigen Regionen Deutschlands schon heute nach verkürzter Vorrangprüfung eingestellt werden. Trotzdem fehlt Personal. Auf Jobbörsen im EU-Ausland werben deutsche neben finnischen und britischen Arbeitsvermittlern um Fachkräfte und überbieten sich mit Angeboten für verbilligtes Wohnen, Sprachkurse und voll bezahlte Eingewöhnungsphasen. "Der Pflegemarkt ist europaweit ausgeschöpft", sagt Bernhard Krämer von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV).

Drei Faktoren sind im globalen Wettbewerb um die Zuwanderung von Fachkräften entscheidend: das Arbeitsentgelt, die Sprache und die Frage, ob sich schon Verwandte oder Bekannte hier befinden. Bei den Gehältern kann Deutschland zwar mithalten, an vielen Universitäten in Mittel- und Osteuropa aber ist Englisch Unterrichtssprache. Wer dort einen Ingenieur-Abschluss macht, geht dann lieber in ein englischsprachiges Land, sagt Koppel. Sind die "Auswanderungspfade" aber erst mal angelegt, ziehen sie andere Arbeitswillige nach.

In Deutschland liege der Saldo aus Aus- und Einwanderern derzeit bei null, erläutert Brücker. Damit die Zahl der Erwerbspersonen nicht schrumpfe, müssten wieder jährlich 200.000 bis 300.000 Menschen einwandern, was auch der Durchschnitt in der Vergangenheit war. "Wir müssen östlich der EU-Beitrittsländer nach qualifizierten Kräften suchen", sagt Brücker. Der Arbeitgeberverband Pflege fordert eine "Greencard" für qualifizierte Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten. Auch um zu verhindern, dass die "Auswanderungspfade" in den nächsten Jahren an Deutschland vorbeiführen.

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7 Kommentare

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  • R
    redlope

    Deutschland wird abgewickelt. Erst war es nur die "DDR", nun folgt der Rest. Es ist kein attraktiver Platz mehr zum Leben für junge Menschen, die sich etwas aufbauen und Familie gründen wollen.

    Denn man kann hier nichts mehr aufbauen. Bei Niedriglohn und befristeten Jobs landen alle irgendwann wieder bei Null (sprich Hartz 4). Das spricht sich auch in der Welt herum. Und weil unsere "Arbeitgeber" inzwischen mit ihren hanebüchenen Leistungsanforderungen bei gleichzeitigem Minilohnanbgebot die hiesigen (immer noch vorhandenen!) gut ausgebildeten Fachkräfte aus dem Land jagen, winseln sie nun um Billig(fach)löhner aus dem Ausland! Aber auch in Osteuropa und Indien ist man nicht doof. Da wird auch geguckt, wo es sich lohnt seine Zelte aufzuschlagen. Deutschland ist nun mal nicht mehr attraktiv - und das zunemend auch für die eigene Bevölkerung, deren Kinder keine anständige Ausbildung mehr bekommen.

  • V
    vici

    wie war das doch gleich: jährlich schaffen zwischen 70000 und 80000 junge Menschen in Deutschland keinen Schulabschluss und sind damit dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar. Wann investiert man eigentlich mal in diese jungen Leute, woher auch immer sie oder ihre Eltern dereinst mal gekommen sind? Ich habe selbst HartzIV-Langzeitkarrieristen in der Verwandtschaft und deshalb weiß ich auch genau, dass man aus diesen Kindern mehr herausholen kann. Das geht allerdings nur, wenn man das Bildungswesen auch finanziell und personell entsprechend ausstattet, so könnten z.B. wie in Schweden auch in bestimmten Schulen mal 2 Lehrer pro Klasse unterrichten oder ähnliches.

     

    und über Fachkräftemangel lamentieren, aber selbst nicht mal ausreichend Studienplätze für Master UND Bachelor zur Verfügung stellen passt auch nicht so ganz zum beklagten Mangel an Fachkräften.

     

    würde man in diesem Land denn Arbeitnehmer wieder vernünftig behandeln und bezahlen könnte es auch durchaus sein, dass einige Familien insbesondere in Ostdeutschland vielleicht ja doch noch mehr als ein Einzelkind bekommen würden. Dafür müsste man aber Arbeitskräfte auch zu würdigen wissen. In Deutschland geht man ja eher dazu über, Arbeit zu entwerten und jenseits des akademischen Berufsfeldes Menschen abzuwerten und in den Niedriglohnsektor hineinzupressen .... das ist kein Klima, in dem jmd. arbeiten möchte, deshalb wandern auch viele Deutsche mittlerweile aus oder verzichten auf Zeugung von neuem Humankapital, welches der Ausbeutung durch Geldgier preisgegeben wird. Die extreme Lohnzurückhaltung in Deutschland ist ja auch ein Faktor, der eher zum Weglaufen animiert.

  • W
    Wilhelmsburger

    Jeder Hochschulabsolvent, der hier eine Arbeit vorweisen kann mit einem angemessenen Gehalt, bekommt doch bereits jetzt die "Greencard".

     

    Wo ist also das Problem ?

     

    Will man den hiesigen Angestellten - wie in den 50-ern und 60-ern mit Gastarbeitern - eine kuenstliche Konkurrenz schaffen, um dann dadurch Loehne zu druecken ?

     

    Oder will man gar den Begriff "Fachkraft" nivellieren und die Huerde noch weiter heruntersetzen, um so einer meoglichst breiten Schicht der hiesigen Lohnabhaengigen die Loehne zu senken ?

     

    Vielelicht sollte man zuerst ueberlegen, wie die hiesigen Beschaeftigungslosen besser ausgebildet, die aelteren Arbeitnehmer laenger beschaeftigt - und die deutschen Abwanderer hier gehalten werden ?

     

    Ausserdem sollten zunaechst die Regullierungsmechanismen bei den Einwanderungsgesetzen auf Weltstandard angepasst werden: am besten die Gesetze von Canada oder Neuseeland "eins zu eins" uebernehmen, damit nicht die Falschen angezogen werden und den wirklich gebrauchten dem Image verderben.

  • J
    Jay

    Wen wundert's? Langjährige Vernachlässigung des Themas Bildung in der Politik haben zur momentanen Situation geführt. Wer sich selbst schon lange nach lukrativen Stellen im eigenen Land umschaut, den überrascht die geringe Attraktivität Deutschlands nicht. Auch ich werde mir so bald es geht eine Stelle im Ausland suchen.

  • BH
    Banjo Hansen

    Ich frage mich, was eine Fachkraft ist. Der Begriff wird im Moment in allen Medien pauschal gebraucht.

     

    Zum Anderen: Zu was wird man in Deutschland ausgebildet? Nicht zu einer Fachkraft sondern direkt zu einem von 4 Millionen Arbeitslosen?

  • M
    Moritz

    Fachkräftemangel und Ingenieurmangel sind Instrumente um ein Überangebot zu erzeugen, so dass anschließend die Löhne gesenkt werden können. Derzeit leben in Deutschland zirka 45.000 arbeitslose Ingenieure, teilweise mit Doktor, für die dieses Gerede über einen angeblichen Ingenieurmangel ein Schlag ins Gesicht ist. Viele Lehramtsstudenten erhalten keine Festanstellung. Viele Facharbeiter werden zu Dumpinglöhnen oder über Zeitarbeitsfirmen eingestellt. Viele Firmen haben regelmäßig ihre Auszubildenen als billige Arbeitskräfte verheizt und anschließend auf die Straße gesetzt. Die Wirtschaft benutzt diese gezielte Panikmache, bei der die Medien nur zu gerne mitmachen, um die Absolventenzahlen in die Höhe zu treiben, und anschließend die Gehälter senken zu können.

  • R
    rene

    Warum faellt selbst die TAZ auf die Maer vom Fachkraeftemangel herein ?

    Bei mindestens 5 Millionen Arbeitslosen sollte doch selbst der naiveste Mensch hellhoerig werden, wenn von einem Mangel die Rede ist.

    Von jedem Arbeistsvermittler kann man die Wahrheit erfahren: es gibt Tasusende von arbeitslosen Fachkraeften genau in den Berufen, die vom Mangel angeblich betroffen sind. Zahlreiche Arbeitsmarktstudien belegen es auch: es gibt keinen generellen Fachkraeftemangel, hoechstens reginonal beschraenkt und temporaer.

    Das jahrzehntelange Jammern der Industrie hat sich so in unreflektierten Koepfen festgesetzt, dass diese Parole ohne Ueberpruefung uebernommen wird.

    Der Industrie in Deutschland geht es nur um Lohndrueckerei, die Loehne sollen weiter gedrueckt werden, immer weiter.

    Jaehrlich 200000 bis 300000 zuzuwandernde Arbeitskraefte zu fordern ist eine Verhoehnung der Arbeitslosen in Deutschland.