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Globale Musik aus und in DeutschlandBedienen der alten Reflexe

Globetrotter

von Elise Graton

„Chillt einfach“, ruft der Poetry Slammer Nikita Gorbunov vor etwa einer Woche von der Bühne des Karlsruher Kulturzentrums Tollhaus in den Saal. „Für jedes Projekt findet ihr einen Flüchtling.“ Sein Publikum bestand aus etwa 80 Leuten, fast ausschließlich im Bereich der deutschen Kulturarbeit, -politik oder -bildung tätig. Versammelt hatten sie sich anlässlich der zweitägigen Konferenz „Globale Musik aus Deutschland“.

Wie jede gute Veranstaltung fing auch diese mit der Klärung von Begriffen an. Globale Musik hieß früher Weltmusik – und ist im Grunde immer noch das Gleiche: Eine Mischung aus internationaler Pop- und Volksmusik, also ein Genre, das per se zur Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen führt und somit zur Integration und zum besonnenen Zusammenleben beitragen kann. Natürlich fiel in diesem Zusammenhang immer wieder das Wort „Flüchtling“.

Es ist schon ein wenig sonderlich, wie sich derzeit fast sämtliche Kunst- und KulturprojektlerInnen auf das Thema stürzen. Flüchtlingshilfsorganisationen warnten kürzlich sogar vor einer zunehmenden Instrumentalisierung der Krise, die von der eigentlichen Arbeit abhält – der Sorge für die Grundbedürfnisse der Neuankömmlinge.

Auf der Konferenz wird jedenfalls schnell klar: Auch die Weltmusikszene steckt in der Krise. Und um das eigene Interesse zu verteidigen, scheint jedes Mittel recht. Die deutsche globale Musik muss gefördert werden! Europa muss mit der Welt eins werden! Den Flüchtlingen muss geholfen werden! Und nicht zuletzt muss das hauseigene Projekt des Veranstalters, der „Creole – Global Music Contest“, gerettet werden. Jener 2006 ins Leben gerufene Bundeswettbewerb für Weltmusik aus Deutschland steht vor dem Aus: 2014 brach die nötige Finanzförderung weg.

Die Schuld am allgemein desolaten Zustand wird während der Konferenz wie eine heiße Kartoffel weitergereicht: Die Medien berichten nicht. Die Institutionen öffnen sich nicht. Die Politik hält sich nicht für verantwortlich. Leo Vervelde, der die Weltmusikabteilung der Hochschule der Künste Rotterdam mit initiierte, erinnert sich, wie 2010 die Rechtsliberalen die Wahlen gewannen und die rechtspopulistische Partei um Geert Wilders zur zweitstärksten Kraft aufstieg: Innerhalb kürzester Zeit wurden sämtliche Kulturförderungen drastisch gekürzt.

Auch in Berlin schlossen, ausgerechnet als das Thema Globalisierung aufkam, interkulturelle Institutionen – wie zum Beispiel der RBB-Radiosender Multikulti. Ich weiß noch, als ich 2004 nach Berlin zog, meinten alle zu mir, ich solle doch unbedingt bei Multikulti ein Praktikum machen. Doch den Sender empfand ich damals weniger als Chance, eher als Ablagefach – ein Ort, wo Menschen mit Migrationshintergrund unter sich bleiben und niemanden stören. Der Radiosender wurde kurze Zeit später eingestellt, wenn auch nicht wegen meiner Bedenken: Der interkulturelle Austausch in Deutschland hatte für die entscheidende Elite einfach keine Priorität.

Feindbild Bach-Hörer

Als dann im Konferenzsaal über schlipstragende Johann-Sebastian-Bach-Hörer gewettert wird, läuft es mir doch wieder kalt den Rücken runter. Ist diese Diskussion um die Grenzen zwischen Hoch-, Pop-, Volks- und Massenkultur wirklich noch zeitgemäß? Warum nicht alles: Bach und Kehlgesang? „Die alten Unterteilungen greifen nicht mehr“, bekräftigt denn auch der Politikwissenschaftler Marc Grandmontagne. Wir seien – auch wegen der Flüchtlingsthematik – aktuell an einem entscheidenden Punkt angekommen: Liebgewonnene Schubladen und nationale Denkweisen funktionieren nicht mehr. Momentan bedienen wir vielleicht noch alte Reflexe, aber bald werden wir uns öffnen müssen.

Ich sollte meine ursprüngliche Meinung über Radio Multikulti relativieren: Kulturprojekte zur Integration und Begegnung verschiedener Kulturen auf Augenhöhe müssen unbedingt gestärkt werden. Wenn auch nur ein wenig, so tragen sie doch dazu bei, uns gemeinsam vom überholten Dasein der europäischen Grenzen zu überzeugen, die kulturellen Schranken innerhalb unserer schon längst diversen Gesellschaft zu überwinden – und zwar hoffentlich noch bevor sich eine neue Spaltung aufmacht: zwischen der Utopie und der Angst.

Elise Graton ist freie Journalistin und Übersetzerin in Berlin

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