■ Gleichberechtigung — ein Spurenelement: In bester Verfassung?!
Dank monatelanger erbitterter Diskussionen und emphatischer Formulierungskünste wird die gemeinsame Verfassungskommission von Bund und Ländern voraussichtlich am 27. Mai über die Änderung von Artikel 3 des Grundgesetzes (Gleichberechtigung) entscheiden. In der zu erwartenden Einigung finden sich kaum noch Spurenelemente der anfänglichen Vielfältigkeit der Debatten um Frauenrechte in der Verfassung. Denn längst zeichnet sich ein Kompromiß ab, der bisher geltendes Recht ergänzen soll: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitung bestehender Nachteile hin.“
Damit wird zielsicher die Klärung der zentralen und umstrittenen Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Quotierung umschifft, mithin die Durchsetzung der frauenpolitischen Minimalforderung verhindert. Mit der Intention, als „kleinstem gemeinsamen Nenner“ wenigstens einklagbare Förderungsmaßnahmen für Frauen verfassungsrechtlich abzusichern, hatte sich weibliche Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur noch im März 1993 verbündet – von der grünen Ministerin Waltraud Schoppe über Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulff-Mathies bis hin zu Katja Ebstein. Doch das umfassende Konzept einer Verfassung aus Frauensicht ist trotz des vielversprechenden Mottos „Jetzt oder nie! Frauenrechte in die Verfassung“ in einer Mischung aus Pragmatismus, vorauseilendem Gehorsam und weiblicher Selbstbesch(n)eidung auf der Strecke geblieben.
Schon vor der endgültigen Wiedervereinigung im April 1990 hatten Frauen um Susanne Paczensky und Renate Sadrozinski mit ihrem Aufruf „Frauen in bester Verfassung“ eine Debatte in Gang gesetzt, die spezifisch „weibliche“, bislang nicht repräsentierte Perspektiven und Wertmaßstäbe in die Verfassung zu integrieren suchte. Primär ging es um eine eigenständige Bestimmung dessen, was Frau-Sein in dieser Gesellschaft bedeutet oder bedeuten könnte.
Doch neben der Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung von Frauen und Männern forderte frau damals mehr. Frauen sollten in der Sprache sichtbar gemacht werden. Der Schutz vor sexueller Gewalt, ein Verbot von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die Anerkennung alternativer Lebensformen sollten per Verfassung festgeschrieben werden. Das Recht auf Asyl sollte auch für diejenigen gelten, die aufgrund ihres Geschlechts oder der sexuellen Orientierung verfolgt werden, und alle Grundrechte sollten auch für AusländerInnen gelten. Schließlich ging es um eine Demokratisierung der sich demokratisch nennenden Gesellschaft. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sollte eben nicht mehr von allen wesentlichen Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen sein. Frauen entwarfen eine dezentrale, ökologische, antimilitaristische und nichtrassistische Verfassung.
Angesichts dieses breiten Themenspektrums mutet die derzeitige Auseinandersetzung um Artikel 3 nicht nur grotesk und rückschrittlich an, sie entlarvt sich als kosmetisch. Die jetzt angestrebte Ergänzung droht bisherige Verhältnisse zu zementieren, wenn nicht zu verschlechtern. Gerichtliche Entscheidungen für und wider die Zulässigkeit von Frauenquoten stehen sich derzeit gegenüber; ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit des Frauengleichstellungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen läßt noch immer auf sich warten. Insbesondere Männer aus den Reihen der CDU/CSU können weiter unablässig betonen, das Grundgesetz dürfe nicht die Einführung von Quoten erlauben und damit im Einzelfall Männer benachteiligen.
Kosmetisch ist diese Debatte, weil sie Begriffe wie Frauenförderung zwar in den Mund nimmt, diese aber gerade verhindern will. Die Selbstverständlichkeit, mit der in Politik und Medien ein Gleichberechtigungsdiskurs geführt wird, suggeriert, diese Gesellschaft wolle endlich eine angemessene Beteiligung von Frauen in allen Bereichen realisieren. Hinterfragt man jedoch die Diskussionsbeiträge auf ihre impliziten Annahmen, offenbart sich die Wiederbelebung eines absolut regressiven Mythos von Mütterlichkeit. Denn die politisch konsensfähige Position zur Gleichberechtigung will keineswegs die faktisch etablierte Männerförderung – wir könnten auch sagen: die latente Homosexualität der bestehenden Ordnung – antasten. Allenfalls werden begrenzte Förderungsmaßnahmen für „Frauen, die Kinder erzogen haben“, erwogen. Frauen kommen also nur als Mütter in den Blick. Und diese einseitige Hervorhebung ist keineswegs positiv, sondern ein Mangel: „das „Mutterschaftsrisiko“, wie Susanne Rahardt-Vahldieck (CDU) es nannte. Weiterhin bleibt somit „der Mann“ Norm und Maßstab der gesellschaftlichen Verhältnisse, demgegenüber Frauen als defizitäre Wesen erscheinen. Das Reden über „Kompensationsklauseln“ (gleich welcher Prägung) erlaubt höchstens eine Angleichung an männliche Standards; Denk- und Handlungsräume, die sich weder positiv noch negativ auf bestehende Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit beziehen, werden von vornherein ausgeschlossen. Darüber hinaus ist eine weitere fatale Konsequenz zu befürchten: Wenn Frauenförderung Männer in keiner Weise benachteiligen darf, wird sie ausschließlich zur Konkurrenz unter Frauen führen. Es droht die Gefahr, daß die dringend erforderliche Berücksichtigung der Situation von Frauen (und Männern), die Kinder aufziehen oder alte und schwache Menschen versorgen, zu einem Ausgrenzungsmechanismus anderer Frauen instrumentalisiert wird. Demgegenüber halten wir es für unnötig, zusätzlich auf einem „Recht auf Kinderlosigkeit“ (Claudia Burgsmüller) zu beharren.
Die derzeitige Diskussion um Artikel 3 kann somit nur als katastrophal bezeichnet werden; Frauen sollten mit ihr keine weiteren Illusionen verbinden und ihre Energien nicht länger in derartig sinnlosen Schein-Auseinandersetzungen vergeuden. Vielmehr müßte jede Form politischer Partizipation immer wieder dahingehend hinterfragt werden, inwiefern sie Aussicht auf Erfolg haben kann und wann sie umzuschlagen droht, um nurmehr herrschende Strukturen von Diskriminierung zu stabilisieren und zu legitimieren.
Zugleich zeigt die Entwicklung der Debatte um Gleichberechtigung exemplarisch die Richtung vorgeblicher „Frauenpolitik“ in der Bundesrepublik: Positionen und Forderungen von Frauen werden absorbiert und häufig sogar ins Gegenteil verkehrt, so daß endlich über andere als die herkömmlichen politischen Eingriffsmöglichkeiten nachgedacht werden müßte. Doris Kolesch/Sabine Platt
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