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Archiv-Artikel

Glauben statt beten

Hertha ist der „kleine Herbstmeister“: Auswärts spielte niemand besser als die Berliner. Das weckt die üblichen Hoffnungen: Die Fans glauben an den Uefa-Cup und hoffen auf die Champions League

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Hertha geht es richtig gut. Die Mannschaft ist zu einem Abschlusstrainingslager nach Saalbach unterwegs und erfreut sich am Tabellenstand: Der Uefa-Cup ist wieder ein Thema. Nach dem 1:0 in Hannover gibt es sogar eine Rangliste, die die Hertha als Spitzenreiter ausweist: die Auswärtstabelle. Hertha ist also gewissermaßen so etwas wie der kleine Herbstmeister – auf dem 5. Tabellenplatz.

Ganz langsam hat sich die Mannschaft nach oben geschlichen. Ein einstelliger Tabellenplatz wurde vor Saisonbeginn als offizielles Ziel ausgegeben. Den hatte Hertha äußerst selten inne, und so galt der neunte Platz, auf den die Berliner Fußballfans lange schielen mussten, als die wahre Erfüllung. Schluss damit! Jetzt wird wieder vom Europacup geträumt. Wer das Wort Champions League in den Mund nimmt, wird nicht mehr ausgebuht. Wenn der Bürgermeister von Olympia redet, nachdem er die Leichtathletik-WM nach Berlin geholt hat, wieso dann als kleiner Herbstmeister nicht vom Titel sprechen?

Hertha ist also zu neuem Leben erwacht. Sogar ein neuer Held wurde geboren. Es ist Arne Friedrich, der Mannschaftskapitän. Er ist mit seinen 22 Länderspielen so etwas wie der deutsche Superstar in der Mannschaft. Der Verteidiger gilt als eine der großen Hoffnungen des deutschen Fußballs. Auf dem Platz konnte Friedrich wegen zahlreicher Verletzungen sein Können bislang nur selten unter Beweis stellen. Dennoch wird er von den Fans derzeit angehimmelt wie kein Zweiter in der Mannschaft. Denn er hat widerstanden. Angeblich lagen dem jungen Mann, dessen Vertrag bei Hertha zum Saisonende ausgelaufen wäre, Angebote von den alles aufkaufenden Vereinen aus Gelsenkirchen und München vor. Doch er hat sich für Berlin entschieden. Jetzt ist er der aufrechte Fußballer, dem geglaubt wird, dass Hertha für ihn eine Herzensangelegenheit ist.

Überhaupt: Der Glaube an Hertha ist zurückgekehrt. Da kann die Geschäftsführung auf der Mitgliederversammlung noch so bedenkliche Zahlen präsentieren. Es wird einfach geglaubt, dass alles wieder gut wird. Mehr als zwei Millionen Euro Verlust hat Hertha im abgelaufenen Geschäftsjahr gemacht, der Umsatz sank um zehn Millionen Euro auf 59,5 Millionen. Die Verbindlichkeiten des Clubs erreichen wahrscheinlich bald schon die 20-Millionen-Euro-Marke. Aber das macht alles nichts, schließlich könne man im Bedarfsfall auch eine Anleihe aufnehmen und weiter investieren. Die Mitgliederversammlung nahm die wenig schönen Zahlen höflich zur Kenntnis und freute sich über Arne Friedrich, den echten Herthaner, und Marcelinho, den Herthabrasilianer, die den Mitgliedern strahlend zugewunken haben.

Zum Strahlemann ist auch Trainer Falko Götz wieder geworden. Die Berliner hatten ihren nach München ausgewanderten Sohn heimgeholt und gaben ihm nach seinem völlig misslungenen Gastspiel in München eine zweite Chance. Die muss der wackere Falko jetzt nutzen. Sonst ist sein Ruf dahin, den er sich einst als Interimstrainer der Hertha erworben hat. Reichlich nervös wirkte Götz zu Saisonbeginn. Sein Lieblingssatz nach einer nicht gewonnenen Partie: „Man hat dennoch gesehen, was in der Mannschaft steckt“, wirkte beinahe schon hilflos. Am Ende der Hinrunde hört sich der Satz ganz anders an, so als hätte Götz tatsächlich gewusst, dass seine Mannschaft gut ist. Doch klar war das nicht. Spieler wie Joe Simunic, die in der vergangenen Saison noch planlos in der Abwehr umhergeeiert sind, werden derzeit als große Stabilisatoren gefeiert. Dass der Kroate eine derart gute Hinrunde hinlegen würde, hat niemand ahnen können – außer vielleicht Falko Götz, den der Tabellenstand beinahe als Propheten ausweist.

Wo die Mannschaft ohne Marcelinho stehen würde, das wagt sich auch der Trainer wohl nicht zu fragen. Er hat schon wieder neun Tore geschossen. Mehr als alle Stürmer zusammen. Doch von der Sturmkrise soll an dieser Stelle nicht die Rede sein. Die gilt ohnehin als überwunden, seit klar ist, dass Fredi Bobic keine Zukunft bei Hertha haben wird. Plötzlich trifft der immer emsige, aber meist unglückliche Nando Rafael. Und auch Giuseppe Reina, der das Toreschießen wahrlich nicht erfunden hat, durfte ein eigenes Tor bejubeln. Auch hier ist alles in Butter.

Doch ein Problem hat die Hertha. Die Zuschauer strömen nicht wie erhofft ins Stadion. Die runderneuerte Schüssel wird wohl erst zu Beginn der Rückrunde gegen Bayern das erste Mal ausverkauft sein. Der Glaube an die neue Hertha muss sich wohl doch erst noch verfestigen.