: Glaube an Engel und EU
Mit der Tageszeitung „Zaman“ und dem Magazin „Aksiyon“ hat sich in der Türkei mit großem Erfolg eine dezidiert islamische Presse jenseits von Westbindung und Laizismus etabliert
VON MARTIN RIEXINGER
Schlechtes Papier, starke Meinungen und wenig Recherche waren lange Zeit die vorstechenden Merkmale der islamischen Presse in der Türkei. Entsprechend niedrig waren die Auflagenzahlen. Und suchten konservative Muslime und islamistische Intellektuelle nach seriöser Information, so mussten sie auf die auflagenstarken Blätter aus dem säkularen Lager zurückgreifen. Heute dagegen gibt es für diese Leserschaft mit Zaman eine dezidiert islamische Zeitung, die mit gründlicher Recherche, einem umfangreichen Korrespondentennetz sowie einem breiten Meinungsspektrum aufwartet.
Zaman verzichtet bewusst auf Prominententratsch und Sensationsmache. Trotzdem – oder gerade deswegen – steht die Zeitung heute mit einer Auflage von über 500.000 neben etablierten Massenblättern wie Hürriyet und Sabah an der Spitze der türkischen Verkaufslisten. Die traditionelle Westorientierung der türkischen Presse wird dabei en passant unterlaufen: Zaman richtet den Fokus auf die Länder des Nahen Ostens, die von den türkischen Medien gerne vernachlässigt werden.
Filmkritikerin mit Kopftuch
In den Kommentarspalten gibt man sich betont pluralistisch: So vertritt der Autor Ali Bulaç islamistische Positionen. Doch mit dem Armenier Etyen Mahcupyan und dem Griechen Erkül Milas zählen auch Nichtmuslime zu den festen Kolumnisten, mit der Autorin Nevval Sevindi leistet sich das Blatt eine dezidiert liberale Stimme. Im Kulturteil bespricht Nihal B. Karaca Hollywood-Blockbuster und heimische Arthouse-Produktionen, um zu zeigen, dass eine Frau mit Kopftuch nicht allein unter der Rubrik „Frau und Familie“ publizieren kann. Sie alle verbindet nur, dass sie den Kemalismus als autoritäre Ideologie kritisieren und vom türkischen Staat fordern, sich ganz aus dem religiösen Leben herauszuhalten.
Mit einem ähnlich pluralistischen Ansatz ist auch das Nachrichtenmagazin Aksiyon zum Marktführer in seinem Segment aufgestiegen. Sowohl Zaman, 1986 gegründet, als auch Aksiyon, das 1996 folgte, werden dem Umfeld des Predigers Fethullah Gülen zugerechnet, der von den türkischen Eliten lange Zeit als Vertreter eines moderaten Islams hofiert wurde. 1998 jedoch wurden Tonbänder veröffentlicht, in denen sich Gülen für einen islamischen Staat ausgesprochen haben soll. Vor einer Anklage floh er in die USA. Dort lebt Gülen bis heute, obwohl in der Türkei inzwischen kein Haftbefehl mehr gegen ihn vorliegt. In seinen Büchern zeigt sich Gülen in theologischen Fragen sehr konservativ: Die Evolutionstheorie lehnt er ab, dagegen verteidigt er den Glauben an Engel und Wunder. In gesellschaftlichen Fragen gibt er sich indes liberal: Er befürwortet das Kopftuch, wendet sich aber gegen jeden Tragezwang. Islamisch begründete Gewalt, gar Selbstmordattentate lehnt Gülen kategorisch ab. „Der Dialog der Religionen, das Allheilmittel gegen den Terrorismus!“, „Vom Terrorismus zur universellen Ethik: Die Religionen und der Frieden“ – so lauten viele Schlagzeilen in Zaman.
Als selbsterklärter Hauptvertreter des „gemäßigten Islam“ sucht Gülen das Gespräch mit christlichen und jüdischen Würdenträgern, neuerdings auch mit Buddhisten. Er und die ihm nahe stehenden Medien werden deswegen heftig kritisiert. Während Islamisten ihm den Ausverkauf der Religion vorwerfen, unterstellen ihm kemalistische Nationalisten, er wolle mit Hilfe von Verbündeten im Ausland Laizismus und nationale Souveränität untergraben.
Zur Redaktionslinie gehört auch, das Zaman und Aksiyon die Europapolitik der Regierung Erdogan unterstützen. Viele Kommentare bringen die Hoffnung zum Ausdruck, dass eine Orientierung an europäischen Menschenrechtsnormen zum Ende der strikten Kontrolle religiöser Aktivitäten durch den kemalistischen Staatsapparat führen werde. Über die USA und Israel berichten beide Blätter nicht gerade freundlich. Doch scheuen sie sich nicht, israelischen Politikern und neokonservativen Vordenkern die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweise darzustellen. Verschwörungstheorien überlässt man dagegen lieber anderen. Als etwa linksnationalistische und islamistische Politiker und Medien im Januar gegen die vermeintlichen Umtriebe protestantischer Missionare in der Türkei polemisierten, sorgte Aksiyon für eine Versachlichung der Diskussion, indem sie detailliert nachwies, dass kaum ein Muslim sich zur Konversion habe bewegen lassen.
Die neue islamische Mittelschicht
Der Erfolg von Zaman und Aksiyon ist ein Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels in der Türkei: Seit den Achtzigerjahren ist in zentralanatolischen Provinzstädten und den Vororten von Istanbul eine neue islamische Mittelschicht entstanden. Diese Akademiker und Unternehmer pflegen zwar einen frommen und konservativen Lebensstil, das Verlangen nach einem radikalen politischen Umsturz liegt ihnen jedoch fern. An diese Klientel richten sich Zaman und Aksiyon, doch finden sie inzwischen darüber hinaus Gehör: 20 Prozent ihrer Leser stammen aus dem säkularen Lager. Ihr Erfolg zeigt, wie es dem moderat-islamischen Lager in der Türkei in den letzten 20 Jahren gelungen ist, der kemalistischen Elite ihr Deutungsmonopol streitig zu machen. Wie die Auflagenentwicklung in Deutschland zeigt, findet Zaman auch hierzulande ein wachsendes Publikum. Ein Zeichen für eine vergleichbare Entwicklung wie in der Türkei: die langsame Entstehung eines islamischen Bürgertums.