: Gibt es ein Wort für Sex im Irischen?
Wie ich zum Glück eines Tages beschloß, meine Gedichte fortan auf irisch zu schreiben ■ Von Nuala Ni Dhomhnaill
Vor kurzem nahm ich in der US-Botschaft in Dublin an einem Empfang für zwei amerikanische Schriftsteller teil, Toni Morrison und Richard Wilbur. Eine irische Frau fragte mich über den Tisch weg, was ich so mache. Bevor ich Zeit hatte, meinen Mund zu öffnen, funkte ihr Partner dazwischen: „Oh, Nuala schreibt Gedichte auf irisch.“ Und über was ich schreibe, fragte sie. Wieder antwortete er für mich, bevor ich Zeit dazu hatte: „Sie schreibt Gedichte über Liebe und Verluste, und ich könnte die meisten von ihnen auswendig hersagen.“ Dies begann, mir gegen den Strich zu gehen, und so versuchte ich gleichzeitig, ihm einen Dämpfer zu verpassen und noch einen draufzusetzen. „Tatsächlich“, verkündete ich, „glaube ich, die einzigen Dinge, über die zu schreiben sich lohnt, sind die großen: Geburt, Tod und das wichtigste zwischen beiden, und das ist Sex.“ „Oh“, sagte seine Freudin neckisch zu mir, „gibt es denn ein Wort für Sex im Irischen?“
Ich schaute hinüber zum nächsten Tisch, an dem Toni Morrison saß, und ich fragte mich, ob eine schwarze Autorin in Amerika mit Ähnlichem zu kämpfen hätte. Da mußte ich in meinem eigenen Land die offizielle Landessprache gegen eine Landsmännin verteidigen, die es offensichtlich für eine Auszeichnung hielt, nichts davon zu verstehen. Typisch, und vielleicht doch nicht so verwunderlich.
Daß die irische Sprache, und demgemäß auch die Literatur, in Irland zur Zeit einen schweren Stand haben, ist eine Entwicklung, die in bemerkenswertem Kontrast zu ihrer langen und illustren Geschichte steht. Ich glaube, Irisch zu schreiben ist die älteste kontinuierliche literarische Aktivität in Westeuropa, beginnend im fünften Jahrhundert, mit einer Blütezeit in einer variantenreichen Manuskripttradition durch das ganze Mittelalter hindurch.
Aber die Schlacht von Kinsale im Jahr 1601, die folgenden Katastrophen des turbulenten 17. Jahrhunderts und die große Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts zerstörten die soziale Grundlage der Sprache.
Die einheimische Hochkultur wurde der Gesprächsstoff der Fischer und kleinen Farmer, und dies ist die Sprache, die ich in West Kerry in den Fünfzigern, im Alter von fünf Jahren und ganz in sie eingetaucht, lernte, als ich auf dem Bauernhof meiner Tante in der Pfarre von Ventry lebte. Das Irische ist eine Sprache von enormer Elastizität und emotionaler Einfühlsamkeit; von schnellen, witzigen Albereien und einer Unzahl von historischen und mythologischen Bezügen; sie ist ein Instrument von großer Reichweite, das jede noch so kleine Andeutung einer Gefühlsregung aufgreifen und ausdrücken kann.
Die Sprache wählen oder erwählt werden
Viele internationale Gelehrte schwärmen davon, daß diese Sprache abgerissener Bauern sich stets an der Schwelle zur Dichtung bewegt. Der pädagogische Unfall, der dazu führte, daß ich diese Sprache früh lernte, muß ein sehr kreativer genannt werden.
Das Irische des „Revivals“ oder Buch-Irisch war etwas völlig anderes, und ich lernte es in der Schule. Obwohl meine erste literarische Liebesaffäre die mit den Munster Poets war, Aodhagan, Ó Rathaille und Eoghan Rua Ó Suilleabháin, und obwohl ich Band über Band von einer Dichtung auswendig gelernt hat, die nicht in der Schule gelehrt wurde, fiel es mir, als ich selbst zu schreiben begann, überhaupt nicht ein, daß ich möglicherweise Irisch schreiben könnte.
Die herrschende Meinung hatte irgendwie auch mich beeinflußt. Gedichte auf irisch zu schreiben schien keine intellektuell glaubwürdige Beschäftigung. So waren meine ersten Versuche, Elegien auf die Tode von Bobby Kennedy und Martin Luther King, in der Schülerzeitung veröffentlicht, alle in englischer Sprache. Sie waren ganz nett, aber sogar ich selber konnte bemerken, daß irgend etwas mit ihnen nicht stimmte.
Irische Lyrik auf englisch zu schreiben, das schien plötzlich eine sehr dumme Sache zu sein. Also schaltete ich mitten im Gedicht auf irisch um, und ich konnte augenblicklich sehen, daß es viel besser wurde. Ich sandte es zu einem Wettbewerb der Irish Times, wo es einen Preis gewann, und das war es.
Ich schaute nie zurück. Ich hatte meine Sprache gewählt, oder vielleicht sollte man besser sagen, auf eine untergründige Weise hatte die Sprache mich erwählt. Wenn es eine Stufe in unserem Wesen gibt (und ich glaube, daß es sie gibt), die ich mangels anderer Worte „Seele“ nennen möchte, dann ist die Sprache, die meine Seele spricht, und der Ort, von dem sie herkommt, das Irische. Mit sech
zehn traf ich meine Wahl. Und das war es. Und ist es immer noch. Ich habe keine andere.
Gratisbekenntnisse und Indifferenz
Aber während die eigentliche Wahl, Gedichte in irisch zu schreiben leicht war, ist weiter nichts daran einfach, schon der heuchlerischen Haltung des Staates wegen. Auf der einen Seite wird das Irische als nationalistisches Symbol bewahrt (die zeremoniellen irischen Floskeln zu Beginn und am Ende jeder Rede eines Politikers, Rundfunksprechers und sogar der Flugzeugbesatzungen sind nur einige Beispiele). Andererseits wäre es keine Übertreibung, von staatlicher Indifferenz zu sprechen, gar von regelrechter Feindseligkeit gegenüber Irischsprechenden, angesichts der Unfähigkeit, auch nur die normale Grundversorgung für diejenigen zu gewährleisten, die ihren alltäglichen Geschäften in dieser Sprache nachgehen wollen.
„Der Computer versteht kein Irisch“, so entschuldigt die Regierung die Weigerung, ihre Geschäfte in irisch zu führen, sogar in den gälischsprachigen Gegenden. Jede kleine Dienstleistung muß von Irischsprechenden bitter erkämpft werden. So sind die Gaelscoileanna (gälische Schulen) meist von Elterngruppen initiiert worden, manchmal gegen den scharfen Widerstand des Bildungsministeriums. Und der einzige Grund dafür, daß wir Raidió na Gaeltachta (gälisches Radio) haben, ist der, daß eine Bürgerrechtsgruppe vor zwanzig Jahren im Westen einen Piratensender gründete und die beschämte Regierung dies hinnehmen mußte. Und an den irischsprachigen Fernsehkanal glaube ich, wenn ich ihn sehen kann.
Man könnte erwarten, daß wenigstens die kulturellen Nationalisten und die englischsprachigen Autoren auf unserer Seite wären. Von wegen. Wie mein auf irisch schreibender Dichterkollege
Biddy Jenkinson einmal gesagt hat: „Wir sehen uns ironischerweise gezwungen zur Kenntnis zu nehmen, daß unser Verschwinden denjenigen zupaß käme, die sich in ihrem Irischsein so lange unwohl fühlen werden, wie es eine gälische Tradition gibt, zu der sie nicht gehören.“ Laß sie ihren Frieden mit der Tradition machen, wenn sie es wünschen. Ich neide ihnen keine Zeile davon. Aber ich will verflucht sein, wenn ihre kulturelle Identität um den Preis meiner Existenz oder meiner Sprache geschützt wird.
Ich kann wohl sehen, wie es manchen Leuten in den Kram paßt, irischsprachige Literatur als letztes Röcheln eines sterbenden Ungetüms anzusehen. Was sie angeht – je eher die Sprache am Boden liegt und stirbt, um so besser, damit sie sich über sie hermachen und dann hübsche kleine Übersetzungen „aus dem Irischen“ als Ethno-Chic verscherbeln können. Fern sei es von ihnen, daß sie die Mühe auf sich nähmen, die lebende Sprache zu lernen. Ich vermute, sie sind ein wenig verschreckt, daß die Leiche, die sie schon so lange zu den himmlischen Chören verbannt glaubten, sich aufrichtet und zu ihnen spricht.
Wie beeinflußt mich das alles als eine Dichterin, die auf irisch schreibt? Nun, insofern als ich ein Mensch bin, der schwach und der Eitelkeit ergeben nach Aufmerksamkeit giert, stört es mich natürlich, mißverstanden und falsch dargestellt zu werden und am Ende in meinem eigenen Land unsichtbar zu werden. Ich werde deprimiert, ich grummle und beschwere mich, ich stehe im Zimmer und murmle dunkel.
Im Windschatten der Geschichte
Trotz alledem, auf einer sehr tiefen, grundlegenden Ebene, spielt es überhaupt keine Rolle. Alles, was ich je wollte, war, daß man mich in Ruhe meine Gedichte auf irisch schreiben läßt. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich ein Publikum hatte, das ich an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Ich war darauf perfekt vorbereitet. Ich bin es noch.
Wegen eines besonderen Zusammentreffens von Umständen ist das Irische aus der Geschichte herausgefallen, gerade als sich die moderne Mentalität abzuheben begann. So haben sich die großen intellektuellen Veränderungen wie die Reformation, die Renaissance, die Aufklärung, die Romantik und die viktorianische Prüderie niemals in ihr niedergeschlagen, wie sie es in den großen europäischen Sprachen taten.
Als Folge hat die irische Sprache eine extreme offene und freie Haltung zum Körper. Es ist fast unmöglich, auf irisch grob und vulgär zu sein. Der Körper mit seinen Öffnungen und Ausscheidungen wird nicht prüde behandelt, sondern als an nadur akzeptiert und wird eher eine Quelle von Witz und Gelächter als irgend etwas, dessen man sich schämen müßte. Und so erzählen denn auch kleine alte Damen von ziemlich untadeligem moralischen Charakter gewagte Geschichten mit Gusto und Verve.
Gibt es ein Wort für Sex im Irischen — allerdings! Haben die Eskimos ein Wort für Schnee?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen