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Gibt es außerhalb Europas eine Kultur?

■ Angebliche Geburt Brahms' in Chile empört Hamburgs Musikwissenschaftler

Johannes Brahms wurde in Chile geboren. Wie? Das wußten Sie noch gar nicht? Sie gingen bisher immer davon aus, der Komponist sei am 7. Mai 1833 in Hamburg zur Welt gekommen? Nix da. Die chilenische Zeitung La Epoca enthüllte in ihrer Dienstags-Ausgabe, daß Brahms (1833-1897) bereits am 6. Februar 1833 in der nordchilenischen Bergarbeiterstadt Copiapo geboren wurde.

Der Vater des Komponisten, Johann Jakob Brahms, habe sich damals auf Einladung der Philharmonischen Gesellschaft Santiagos mit seiner hochschwangeren Frau Johanna Henrika Christiane auf einer Tournee in Chile befunden. Nach der Geburt habe die tiefgläubige Mutter verlangt, den Sohn in der kleinen katholischen Ortskirche zu taufen, weil sie Angst hatte, das Kind werde die beschwerliche Rückreise nicht überleben. Ein Brief der Mutter, der darüber Auskunft gibt, soll jetzt in der argentinischen Bibliothek von Tandil (Provinz Buenos Aires) gefunden worden sein.

„Das ist so absurd, daß sich eigentlich jedes Wort dazu erübrigt“, empörte sich gestern Professor Detlef Kraus, Vize-Chef der Hamburger Brahmsgesellschaft. „Der Grad der Unwahrscheinlichkeit dieser fabulösen Geschichte ist nicht zu übertreffen. Die gesamte Brahmsforschung hat aktenkundig gemacht und belegt, daß der Musiker in Hamburg geboren wurde.“Es gebe keine Quellen, die eine zu damaliger Zeit höchst ungewöhnlich weite Reise des Kom-ponisten-Vaters nach Chile belegen.

„Diese Nachricht fällt sozusagen aus dem Himmel“, meinte auch Constantin Floros, Musikwissenschaftler an der Hamburger Universität. „Es gibt auf dieser Welt zwar nichts, das unmöglich ist, aber das scheint mir doch höchst unwahrscheinlich.“Und für Jürgen Neubacher, den Leiter der Musiksammlung an der Hamburger Stabi ist der chilenische Brahms „absoluter Quatsch“. Er forderte gestern: „Falls dieser Brief der Brahms-Mutter tatsächlich existiert, müßte die argentinische Bibliothek ihn zur wissenschaftlichen Überprüfung herausgeben.“

Nachdem all diese Herren ihrer Empörung Luft gemacht hatten, meldete sich aus Chile der Musikwissenschaftler Juan Maria Solare zu Wort: „Das Ganze war ein Scherz. Der Vater von Brahms war natürlich nie in Chile.“Den Europäern habe er mit dieser Geschichte „ihren Eurozentrismus“vorhalten wollen. Immerhin glaubten sie ja, „daß es außerhalb von Europa keine Kultur gibt“ . lno

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