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Gewerkschaftschef Lech gegen Streiks

■ Lech Walesa will Streikmoratorium / Noch immer wird vereinzelt gestreikt / Regierungsbildung verzögert / Zeitung der Solidarnosc gegen „Reservate der PVAP“ im Kabinett

Warschau (dpa/afp) - Der Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa, will die polnische Bevölkerung und vor allem die Mitglieder der Solidarnosc zu einem Streikmoratorium auffordern, um die Arbeit der Regierung des neuen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki nicht zusätzlich zu erschweren. Walesa bestätigte dies am Montag in Danzig. Er sagte, man dürfe jetzt „kein Eigentor“ schießen. Polen stehe vor einer großen politischen Chance, dürfe sich jedoch weitere wirtschaftliche Verluste nicht leisten. Die Streikwelle war am Montag abgeflaut. Es wurden nur noch vereinzelt Ausstände und Protesaktionen gemeldet.

Es ist anzunehmen, daß Walesa sein Moratorium, das mindestens ein halbes Jahr dauern soll, verkündet, wenn Mazowiecki seine Regierung gebildet hat. Aus Kreisen der Solidarnosc-Führung verlautete, dies könne frühestens am 4. oder 5.September der Fall sein. Zuvor war dies für Ende August angekündigt worden. Mazowiecki hatte sich für gestern nachmittag mit dem Präsidium der Solidarnosc-Fraktion und den Führungen der neuen Koalitionspartner - der Bauern Partei und der Demokratischen Partei - verabredet, um über die Regierungsbildung zu beraten. Aus Solidarnosc-Kreisen verlautete, daß man den Kommunisten außer dem Innen- und Verteidigungsministerium vermutlich zwei bis höchstens drei Ministerposten zugestehen werde. Zum Tauziehen um das Außenministerium meinte ZK-Sekretär Leszek Miller auf einer Parteiversammlung, die Besetzung dieses Postens sei noch offen. Als mögliche Kandidaten nannte er den Chef der Bauernpartei, Roman Malinowski, und den Fraktionsvorsitzenden der Solidarnosc, Bronislaw Geremek. Er sagte aber nicht, wen die Kommunisten vorgeschlagen haben.

Die Parteizeitung der Solidarität, 'Gazeta‘, hat sich unterdessen gegen die Beibehaltung von „Reservaten“ für die Kommunisten in der künftigen polnischen Regierung ausgesprochen, in denen sie schalten und walten könnten, wie sie wollen. Eine solche Regelung würde für das Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki eine „Zeitbombe“ sein. Statt dessen sollten die politischen Kräfte in den Ministerien „gemischt“ werden, forderte 'Gazeta‘ am Montag. Die Ministerien für Inneres und Verteidigung sollten nicht ausschließlich von der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei kontrolliert werden, wie es offenbar in einem Abkommen zwischen Solidarnsc und PVAP beschlossen wurde. „Ich glaube nicht, daß Solidarnosc eine unkontrollierte Herrschaft der PVAP über diese Ministerien akzeptieren kann. Die Parteizeitung rief die Vertreter der Gewerkschaft zur „loyalen Zusammenarbeit“ mit den Kommunisten auf.

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