: Gewaltfrei zum Kollwitzplatz
■ Ostberliner Demonstration der Autonomen ohne Zwischenfälle / Zweitausend marschierten Schulter an Schulter gegen „das Kapital“
Verwundert schauen die Fahrgäste aus dem vorbeifahrenden 57er Bus auf das bunte Häuflein, daß sich da an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik versammelt hat. Punks, Autonome, „Freunde des Grünen Buches“ des Muammar el -Ghaddaffi, Anarchisten - rund zweitausend Leute waren dem Aufruf zu einer autonomen Maidemonstration gefolgt.
Kurz nach elf formiert sich vermummter „Lautsprecherwagenschutz“, und los geht's. Vorneweg ein Funkstreifenwagen der Volkspolizei, dahinter ein großes, schwarzrotes Transparent: „Gegen Unterdrückung, Kapital, Faschismus“. Aus dem Lautsprecherwagen ertönen die Gesänge des „Barrikadentaubers“ der zwanziger Jahre, Ernst Busch: „Links, links, links - der rote Wedding marschiert!“ Es folgen Maiparolen - Tenor: „Wir waren und wir bleiben gewaltfrei“. Neugierige Blicke aus vielen Fenstern - so manch ältere Dame schüttelt verunsichert den Kopf: Was soll man bloß davon halten?
Während der Zug in die Schönhauser Allee einbiegt, geben einige der Vermummten den Kampf gegen die Sonne auf schwitzend reißen sie sich ihre wollene Verkleidung vom Kopf. Am mittlerweile schon legendären Besetzerhaus Schönhauser Allee 20 wird ein „solidarischer Gruß an die Besetzer der ersten Stunde“ abgesandt. Aus dem daneben befindlichen Revier schauen ein paar freundliche Polizisten
-weiter gehts.
Als die Demonstranten den Kollwitzplatz erreichen, werden sie von einem Pulk von Fotografen empfangen. Da ertönt noch einmal die Lautsprecherstimme. Um das „antifaschistische Element“ des Marsches hervorzuheben, verbrennt man nun eine „von Genossen letzte Nacht in der Kopernikusstraße“ erbeutete Reichskriegsflagge. Danach ist dann aber wirklich Schluß, und während ein Teil der Demonstranten nach Kreuzberg zieht, bleibt die Mehrzahl der Leute in Volksfeststimmung auf dem Kolli zurück.
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