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Archiv-Artikel

Gewaltenteilung, ade!

betr.: „Eine halbe europäische Öffentlichkeit“, Interview mit dem Politologen Jan-Werner Müller, taz vom 11. 5. 05

Es ist schon erstaunlich! Da lernt frau jahrzehntelang – zumindest solange es das realsozialistische Lager noch gab –, dass ein wesentliches Kriterium der Demokratie die Gewaltenteilung sei, und nun ist diese Gewaltenteilung aus EU-Europa verschwunden! Und kein Wort von dem Herrn Politologen dazu, dass die nationalen Exekutiven (also ausführende Gewalt, sprich Regierungen) die Exekutiven der EU stellen, welche die Leitlinien vorgeben, die diese in Gesetzesform fassen und von den nationalen Regierungsvertretern im Ministerrat als Gesetz beschlossen werden, wozu das gewählte Europäische Parlament (behauptete Legislative, also gesetzgebende Gewalt) eigentlich nur eine Art Vetorecht besitzt. Diese Gesetze binden dann die nationalen Legislativen und deren Exekutiven (Regierungen), die nun diese Gesetze, die sie selbst auf den Weg gebracht haben, umsetzen. Mir scheint da irgendwo etwas überflüssig geworden zu sein: Demokratie? Gesetzgebende Gewalt der gewählten Volksvertreter? Noch nicht einmal mehr formal ist dies wesentlich vorhanden! Von der in der EU-Verfassung enthaltenen Aufrüstungsverpflichtung und anderen Unmöglichkeiten will ich hier gar nicht schreiben. Im Sinne einer Demokratisierung Europas hoffe ich, dass in Frankreich das Nein zur Verfassung gewinnt. MONIKA DOMKE, Köln

betr.: „Brauchen wir diese Verfassung?“, taz vom 12. 5. 05

Dass Dorothea Hahn ihren Beitrag mit den Worten „Ich möchte …“ eröffnet, offenbart zwei Dinge, die mir auch in Diskussionen mit französischen Freunden immer wieder begegnen:

Zum einen eine Selbstbezogenheit, die völlig außer Acht lässt, dass die EU inzwischen aus 25 Ländern und 450 Millionen Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen und Überzeugungen besteht. Eine Verfassung zu erarbeiten, die für eine breite Mehrheit der Bevölkerung in allen europäischen Ländern akzeptabel ist, erfordert zwangsläufig Zugeständnisse – auch wenn diese Zugeständnisse im Einzelnen schmerzhaft sein mögen.

Zum anderen einen Vorrang des Wunschdenkens gegenüber der politischen Realität. Auch ich hätte mir einen „größeren Wurf“ für die Verfassung gewünscht. Die Alternative zum vorliegenden Entwurf ist jedoch nicht eine demokratischere, sozialere, transparentere und bürgernähere EU, sondern der Vertrag von Nizza. Ein Vertrag, der zwar die von Dorothea Hahn so vehement kritisierte „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ beinhaltet, in wichtigen Punkten wie der Grundrechtecharta, der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat und der Mitentscheidungsbefugnissse des Europäischen Parlaments aber weit hinter der Verfassung zurückbleibt. Die Hoffnung, nach einem Scheitern des Referendums in Frankreich würden neue Verhandlungen zu einem besseren Entwurf führen, geht an der Realität wohl vorbei. Denn wie Daniela Weingärtner zu Recht anführt: „Nicht einmal in Frankreich könnten sich die Gegner des jetzt vorliegenden Textes mehrheitlich auf eine andere Fassung einigen.“ PATRICK KOPISCHKE, Köln

betr. „Die UNO wird gestärkt“ (Interview mit Winfried Nachtwei), taz vom 13. 5. 05, „Verlierer Öffentlichkeit“, Debattenbeitrag von Eric Chauvistré, taz vom 14. 5. 05

Mich würde interessieren, wie Winfried Nachtwei zu der Behauptung kommt, die EU-Verfassung stärke die friedenssichernde Rolle der UNO. Die Präventivkriegsstrategie der Nato ist der genaue Gegenentwurf zum Verbot des Angriffskriegs der UN-Charta, und sie soll nun in Artikel I-41(2) EU-Verfassungsrang erhalten, während die UN-Charta nicht als völkerrechtlicher Rahmen, sondern nur als interpretationsfähiges Ziel aufgenommen wird. Winfried Nachtwei behauptet, diese Militarisierung der EU sei eine Worst-case-Befürchtung mit aus dem Zusammenhang gerissenen Artikeln. Diesen Zusammenhang hat Eric Chauvistré am Tag darauf gut beleuchtet, und er ergibt sich aus den wiederholten geringschätzigen Äußerungen grüner Politiker über das „alte“ Völkerrecht und aus der „neuen“ Politik der rot-grünen Regierung. Seit 1998 hat sie alle drei Jahre einen neuen Krieg unterstützt: mit Bomberpiloten über Jugoslawien, mit „uneingeschränkter Solidarität“ in Afghanistan und mit verlässlicher logistischer Infrastruktur für den Irakkrieg. Die ethnischen und religiösen Konflikte hat sie damit nicht gelöst, sondern polarisiert und zusätzlich militärisch aufgeladen. Die UNO wurde jedes Mal vor vollendete Tatsachen gestellt. Dieses Konzept würde in der EU-Verfassung nicht die friedenssichernde Rolle der Vereinten Nationen stärken. Bewährt hat es sich allerdings, um das Einflussgebiet der Nato heftig auszuweiten. Hat Winfried Nachtwei das vielleicht verwechselt? MARTIN ROGER, Hanonver