: Gewalt gegen Mädchen nimmt zu
■ Bundesweite Mädchenhaustagung in Köln / Mädchenhäuser sollen nicht nur Zufluchtsort sein, sondern umfassende Hilfe, Beratung und Unterstützung bieten / Überall fehlt es an Finanzen
Köln (taz) - Jedes vierte Mädchen in der Bundesrepublik wird sexuell mißbraucht, so eine Studie des Bundeskriminalamtes. In einer neueren niederländischen Studien ist von jedem dritten Mädchen die Rede. Dies waren die Ausgangsdaten für die 6. bundesweite Mädchenhaustagung am letzten Wochenende in Köln. Vertreterinnen von 38 Mädchenhäusern und Initiativen aus 18 Städten kamen zusammen, um sich über ihre praktischen Erfahrungen und über die neuesten Forschungsergebnisse zum Thema sexuelle Gewalt gegen Mädchen auszutauschen.
Der Zulauf zu den Beratungsstellen für Mädchen, die sexuelle Gewalt erfahren (haben), wächst. Das liegt zum einen daran, daß durch die feministische Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Tabuthema immer mehr Mädchen ermutigt werden, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zum anderen liegt es aber auch daran, daß die sexuelle Gewalt zunimmt. Vergewaltigung im Jugendzentrum wird oft zum Anlaß für Mädchen, eine Beratungsstelle aufzusuchen.
„Welche Einschränkungen reduzieren feministische Mädchenarbeit auf Sozialarbeit?“ war eine wichtige Fragestellung der Tagung. Denn feministische Mädchenarbeit soll sich nicht in Beratung und Betreuung von Mädchen als Opfern sexueller Gewalt erschöpfen. Mit dem Begriff „Mädchenhaus“ ist ein integriertes Gesamtkonzept gemeint, nicht nur ein Zufluchtsort in Notsituationen, sondern auch ein Platz, wo Mädchen sich treffen, miteinander reden, ihre Stärken ausprobieren kön nen.
Henny Taraschewski von der Kölner Mädchenhausinitiative stellte ein solches Konzept vor: Es soll ein Mädchencafe haben mit Räumlichkeiten für Kurse wie zum Beispiel Selbstverteidigung, eine Beratungsstelle, eine Zufluchtsstelle sowie ein Bereich für betreutes Wohnen. Bisher gibt es in der BRD noch kein in diesem Sinne „vollständiges“ Mädchenhaus.
München hat eine Zufluchtswohnung, ein Mädchenpower-Cafe und eine Kontaktstelle. Die Mädchenhäuser in Hamburg und Berlin haben eine Zufluchtswohnung mit Beratungsstelle. Überall mangelt es an finanzieller Unterstützung. Deshalb befaßte sich eine Arbeitsgruppe auf der Tagung mit dem Thema „Strategien zur Durchsetzung der finanziellen Absicherung“. Aufgrund der Erfahrungen der Frauenhausbewegung warnten einige Vertreterinnen der Mädchenhausinitiative davor, sich mit geringen Geldern abspeisen zu lassen, die gerade ausreichen, um die schlimmsten Notsituationen zu beheben und keinen Platz mehr lassen für die politische Arbeit. Damit würden die Mädchenhäuser zu einer reinen Auffangstation für die Opfer des Patriarchats. Ihr Ziel ist aber ein anderes: Mädchen zu stärken, damit sie sich gegen die Gewalttätigkeiten des Patriarchats zur Wehr setzen können.
Uli Klausmann
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