Gesundheitssystem: Ärzte fliehen vor den Kassenpatienten
Soziale Unterschiede spielen bei der medizinischen Versorgung eine immer größere Rolle, so die Patientenbeauftragte.
Gesundsein wird in Berlin immer mehr zu einem Luxusgut. Dieses Fazit zieht die Patientenbeauftragte des Landes, Karin Stötzner, aus ihrem Tätigkeitsbericht der letzten beiden Jahre. "Berlin ist im Gesundheitssektor zwar überversorgt", sagt Stötzner und spielt damit auf die große Dichte von Ärzten und Krankenhäusern an, zu diesem Berlin habe aber nicht jeder Zutritt.
Während Privatpatienten sich aussuchen könnten, zu welchem Arzt sie gehen, und relativ schnell einen Termin bekämen, würden gesetzlich versicherte Patienten immer schlechter versorgt. Sie müssten nicht nur in Praxen, sondern neuerdings auch in Krankenhäusern teilweise monatelang auf ihre Behandlung warten oder würden gleich wieder weggeschickt.
Vor allem für die Bewohner der Ost- und Randbezirke Berlins habe sich die medizinische Versorgung verschlechtert, so Stötzner. Viele Ärzte verlegten ihre Praxen in einen "zentralen oder bürgerlichen Bezirk", wo sie mehr Privatpatienten empfangen könnten. Die verbleibenden Arztpraxen seien inzwischen nicht mehr in der Lage, alle Patienten aufzunehmen. Die Folge: überaus lange Wartezeiten.
Berlin ist bisher das einzige Bundesland mit einer Patientenbeauftragten. Seit 2004 beantwortet die Soziologin Stötzner Fragen von Patienten, vermittelt zwischen Krankenkassen, Ärzten und Patienteninitiativen und berät die Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher (Linkspartei). Die Patientenbeauftragte besitzt zwar keinerlei formale Sanktionsmöglichkeiten, für Lompscher ist das Amt jedoch "ein wichtiges Element des Verbraucherschutzes". Monatlich landen etwa 100 Anfragen und Beschwerden auf Stötzners Tisch.
Schuld an der "Zweiklassenmedizin", darin sind sich Patientenbeauftragte und Senatorin einig, sei vor allem die Gesundheitsreform der Bundesregierung, die seit April 2007 gilt. "Patienten müssen seitdem mehr aus eigener Tasche bezahlen und verzichten deshalb oft auf medizinische Leistungen", so Stötzner. Aber auch der Kostendruck auf die versorgenden Institutionen sei gestiegen. "Die Reform sendet falsche ökonomische Signale an die Ärzte", so Lompscher. Ohne die Zuzahlungen der Privatpatienten könnten Hospitäler und Praxen nicht überleben.
Eine Lösung für die Ungleichbehandlung haben die Gesundheitssenatorin und ihre Patientenbeauftragte nicht. Stötzner fordert die Patienten jedoch auf, ihre vorhandenen Rechte einzufordern.
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