Gesundheit: Herzpatient im Wartestand
Obwohl Kardiologen eine Operation für nötig hielten, blieb ein junger Inder mit einem schweren Herzfehler monatelang im Abschiebegewahrsam im Polizeipräsidium.
Heute wird Baldev Mukhoti (Name von der Redaktion geändert) im Klinikum Links der Weser am Herzen operiert. Wäre es nach dem Arzt des 25-jährigen Inders gegangen, dann hätte dies schon vor Monaten geschehen sollen. Doch statt dessen wurde der abgelehnte Asylbewerber im Abschiebegewahrsam des Bremer Polizeipräsidiums behalten, um ihn nach Indien abzuschieben. Seit Juni saß Mukhoti in Haft. Er leidet an einer schwere Aortenklappeninsuffizienz - die Herzklappe schließt nicht richtig. Vereinfacht gesagt, vermag das Herz nicht genug Blut in die Hauptschlagader zu pumpen. Es fließt zurück, weitet die Herzkammer, der Puls schnellt hoch, die Luft wird knapp. Trotzdem hielt die Ausländerbehörde an ihren Abschiebeplänen fest - selbst dann noch, als ein kardiologisches Gutachten die Wahrscheinlichkeit, dass Mukhoti eine Flugreise nicht überlebt, bei 1 zu 5 ansiedelte. Mukhotis Anwältin Christine Graebsch hatte den Herzspezialisten Peter Harfmann damit beauftragt, die Diagnose eines Polizeiarztes zu überprüfen. Der hatte kurz nach Mukhois Festnahme seinerseits eine Kardiologin konsultiert. Die forderte zwar mittelfristig eine "operative Sanierung" von Mukhotis Herz. Dennoch erklärte der Polizeiarzt Mukhoti für "reisefähig". Doch weil die Ausländerbehörde keinen Pass von Mukhoti hatte, blieb der erstmal im Knast. Schließlich zog Graebsch Harfmann zu Rate. Der nahm die Krankenakte Mukhotis in Augenschein und verlangte, dass dieser "unverzüglich" operiert werde. Das hätte das Sozialamt bezahlen müssen. Doch die Ausländerbehörde mochte Harfmanns Aufforderung nicht Folge leisten. Ende Oktober schrieb sie Graebsch einen Brief. Darin wies sie die Einschätzung Harfmanns mit der Begründung zurück: Der habe seine Erkenntnisse ja schließlich "nur aus schriftlichen Unterlagen gewonnen". Am 6. November rückte Harfmann deshalb mit eigenem Gerät im Polizeigewahrsam an. Er untersuchte Mukhoti und kam zu demselben Ergebnis wie zuvor: Die medikamentöse Behandlung habe nichts an der Verschlechterung von Mukothis Zustand geändert, eine Operation sei "dringlich"geboten. Ein Langstreckenflug berge ein 20-prozentiges Risiko für eine "lebensbedrohliche Verschlechterung." Um ganz sicher zu gehen, legte Harfmann sogar den Mitgliedern des "Kardiologischen Gesprächskreis" der Ärztekammer den Fall vor. "Kein einziger der Kollegen hat mir widersprochen", sagt Harfmann. Doch die Ausländerbehörde ignorierte auch Harfmanns zweiten Befund: Laut Polizeiarzt gelte Mukhoti als haft- und reisefähig. Deshalb bestehe "keine Veranlassung" ihn zwecks einer Operation zu entlassen, schrieb die Behörde an Graebsch. Ob die Behörde dem Polizeiarzt Harfmanns Gutachten überhaupt vorgelegt hat, ist allerdings mehr als fraglich. Auf Anfrage der taz sagte der jedenfalls, ein solches Gutachten sei ihm "nicht bekannt". Graebsch zog daraufhin vor Gericht - und gewann. Am 12. November gab das Amtsgericht ihrem Antrag statt und Mukhoti kam frei. Die Ausländerbehörde hätte nach Harfmanns zweitem Gutachten erkennen müssen, dass eine "Aufrechterhaltung der Haft nicht in Frage kommt", entschieden die Richter. Die Staatskasse muss die Prozesskosten tragen. Bis zu dem Urteil wuchs Mukothis Akte bei Graebsch auf einen ganzen Ordner an. "Das ist kein einzelner Skandal, der hier aufscheint", sagt sie. "Es ist die generelle Struktur."
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