: Gestalten, die sich autistisch verhalten
Das Museum Kurhaus Kleve widmet dem documenta-Künstler Mark Tansey eine umfassende Einzelausstellung. Erstmals lassen Vorstudien aus dem Bildarchiv des Amerikaners die Genese von Gemälden nachvollziehen
Vor zehn Jahren war im Düsseldorfer Kunstverein eine Ausstellung zu sehen, in der lediglich ein monochrom rotbraunes Bild hing: „Der Triumph der New York School“ (1984) des amerikanischen Künstlers Mark Tansey. Eine moderne Allegorie, die als fiktionales Historienbild die Kunstgeschichte selbst zum Thema hat. Wie beim klassischen Historienbild offenbart sich die komplexe Inhaltlichkeit dem Betrachter ohne Hintergrundwissen aber kaum. Dem 1949 in San José (Kalifornien) geborenen Maler Tansey widmet das Museum Kurhaus in Kleve nun eine Einzelausstellung, in der nicht nur die früheren, sondern auch ganz neue Werke gezeigt werden. Neben den großformatigen Ölgemälden lassen erstmals auch die Vorstudien aus dem Bildarchiv des Künstlers die Genese von Gemälden nachvollziehen.
Der braunrote Sepiaton, in dem Tansey in den 1980er und 1990er Jahren seine monochromen Bilder malte und damit der Wirklichkeit entfremdete, ist nun einem ebenso irrealen tiefen Ultramarin gewichen. Berge, Wasser- und Schneelandschaften werden bevölkert von menschlichen Gestalten, die sich trotz äußerer Aktivitäten seltsam autistisch verhalten – selbst in Gesellschaft scheinen sie keine Kommunikation zu suchen. Vielmehr tun dies die raffinierten malerischen Texturen sowie die gemalten Landschaften, in denen die Elemente ein wild bewegtes Eigenleben führen und annagrammatisch versteckte Gesichter aufscheinen oder Augen den Betrachter anblicken.
Die durchweg gegenständlichen Bilder sind auch in den jüngeren Versionen der letzten Jahre immer mit irritierender Inhaltlichkeit aufgeladen. So stößt ihre Erzählbarkeit rasch an ihre Grenzen, denn die mit Bildungswissen angereicherten Anspielungen bleiben vage, führen allenfalls in ein simples Suchspiel nach den versteckten Köpfen. Die Bilder behaupten in ihrer realistischen Manier eine Lesbarkeit, die sie nicht nur nicht erfüllen, sondern sogar hintertreiben. In dieser selbstreflexiven Verweigerung finden sie offenbar ihr eigentliches Motiv. Das imposante Gemälde „Mont Sainte-Victoire“ von 1987, das schon auf der documenta 8 für Aufsehen sorgte, führt exemplarisch die Verschränkungen der zentralen Bildmotive Cézannes mit dem Gedankengut des französischen Strukturalismus und Dekonstruktivismus (Derrida, Barthes, Baudrillard) vor. Die Kritik bildlicher „Gewissheiten“, wie sie die französischen Philosophen formulieren, wird bei Tansey überführt in eine bildliche Dekonstruktion anthropologischer Konstanten, die im Alltagsverständnis der meisten Menschen als unwandelbar gelten: Vorne wird Hinten, Oben wird Unten, der Berg wird eine Höhle, Männer werden zu Frauen. Wo aber bleibt die Narration?, möchte man fragen. In den Bildern Tanseys stehen offensichtlich gerade diese Erwartungen selbst zur Diskussion: Muß es überhaupt eine schlüssige, nacherzählbare Geschichte in einem Bild geben? Mark Tanseys Gemälde der Klever Ausstellung werfen viele Fragen auf, scheinen überaus eloquent zu deren Beantwortung beizutragen – und stiften letztlich doch vor allem fruchtbare Irritation. Bilder sind, das scheint diese Kunst zu sagen, so oder so problematisch. KÄTHE BRANDT
Mark TanseyMuseum Kurhaus Klevebis 24. April 2005