■ Geständnisse eines Haschsüchtigen: „Wozu leb' ich denn im Kapitalismus“
P. ist Ende 30. Der arbeits- und wohnungslose Intelligenzler interessiert sich für Zeitunglesen, Fußball und Politik. Seit 26 Jahren ist P. haschsüchtig. Außerdem ist er verbittert. Denn als er klein war, hatten ihn seine Eltern vom Osten in den Westen verschleppt. „Wegen dem Kapitalismus bin ich haschsüchtig geworden“, meint P.
taz: Wie sieht denn der Tag eines Haschsüchtigen so aus?
P.: Erst trink' ich einen Kaffee. Dann steht die Wahl halt an: Raucht man jetzt noch mal eine Zigarette oder quält man die Lunge gleich mit was Richtigem. Da kiff' ich natürlich lieber. Das kriegt dann auch noch so einen gesundheitlichen Aspekt: Man belastet die Lunge ja eigentlich nicht mit dem Nikotin, sondern mit dem Shit. Und dann geht's so weiter. An manchen Tagen, da rauch' ich nichts anderes als Haschischzigaretten. Da kommen dann schon mal 20 zusammen. Zwischendurch war ich ja auch schon mal alkoholsüchtig. Da hatte ich fast jeden Tag einen Filmriß (lacht). Das war in Frankfurt. Die Studentenpolitik, das hat bei mir gewirkt wie bei anderen Drogenkarrieren die Bundeswehr. Da wurde ich dann zum standfesten Trinker. Jetzt darf ich ja gar nichts mehr trinken. Zu kiffen hatte ich in meiner Alkoholphase nicht aufgehört. Kam auch schon mal vor, daß ich stockbetrunken nach Hause gekommen bin in die WG. Und die saßen da bei ihrem letzten Kawumm. Und anstatt an dem guten Rohr zu ziehen, blas' ich da hinein. Worauf die dann ein paar Stunden auf dem Teppich die Krümel zusammensuchten. Und ich hab' mich mit einem kräftigen „Nichts für ungut“ verabschiedet. Man kann schon sagen, daß das für mich ein Substitut für Alkohol ist, das Kiffen. Aber ich kann mich auch ohne Kiffen einrichten, ohne daß dann die Laune schlechter wird.
Wann hast du zum letzten Mal einen Tag nicht gekifft?
Ja, da kann ich mich genau erinnern (lange Pause). Das war vor zwei Jahren (lacht).
In den siebziger Jahren warst du ja auch noch in der Politik?
Ich hab' damals Wahlkampf gemacht fürs Studentenparlament. Da bin ich dann auch zu den Freaks gegangen und hab' gesagt, die sollen uns wählen. Und die haben dann gesagt: „Nee, mit Politik haben wir nichts am Hut.“ – „Ja, wir doch auch nicht! Wir wollen nur das Geld vom Asta.“ Das hat denen eingeleuchtet. In den Siebzigern waren die Bürgerinitiativler, die Freaks und die Linken ja noch miteinander verbunden. Die fanden ja alle Politik nicht gut. Politik, wie sie kam in der Tagesschau oder in der Zeitung. Daraus entstanden ja die Grünen. Fast alle Grünen, die im Bundestag sitzen, haben mal gekifft. Bis auf Antje Vollmer.
In den 70er Jahren gab's in Gießen eine Basisgruppe Nutzpflanzen. Die haben also hergeleitet: wenn die Bourgeoisie das Haschischrauchen freigibt, würde der Imperialismus zusammenbrechen. Daß sich den Kiffern also aufgrund des Kiffens die wahren Zusammenhänge des Kapitalismus offenbaren würden, und dann würde der Kapitalismus gestürzt per Revolution. Und dann würde man die erste kiffende Republik ausrufen. Das fand großen Anklang. In Wirklichkeit ist es natürlich umgekehrt: Daß Kiffen im Kapitalismus verboten ist, ist völlig anachronistisch. Daß man so vorkapitalistisch herumrennen muß, um an das Zeug zu kommen. Der Dealer ist krank oder der Dealer vom Dealer, und dann rennt man den ganzen Tag rum, um sein Dope zu kriegen, und verschwendet seine Produktivkraft. Irgendwie ist das wie in der DDR. Das regt mich unglaublich auf: Da muß man schon im Kapitalismus leben und dann kann man nicht mal legal kiffen. Interview: Detlef Kuhlbrodt
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